Tag 33


Joana weckt mich mit einem Kaffee und, ich muss lachen, mit einem Stück Marzipanstollen. Der ist übrig von dem halben Stollen, den sie bereits gegessen hat. „Den habe ich mir gestern gesichert“, sagt sie zu mir.

„Den ganzen?“, frage ich sie.

„Den Rest habe ich schon in der Nacht gegessen.“

Joana verbraucht am Tag zwischen fünf und sechstausend Kalorien. Das, in etwa, benötigt auch ein Saisonkoch pro Tag. Ich nehme zwischen den Saisonen, bei einer Mahlzeit pro Tag, in vierzehn Tagen, etwa zehn Kilo zu. Das wären, ausgerechnet, etwas um die sechzigtausend Kalorien. Bei Joana ist das nicht viel anders. Demnach müssten wir einen Garderobenschrank besitzen, mit dem drei bis vier Konfektionsgrößen abgedeckt werden. Das gilt auch für unsere Motorradausrüstung. Im Grunde ist das nicht finanzierbar. Ich, für meine Zwecke, begnüge mich mit Trainingsanzügen und einer übergroßen Motorradkleidung, die ich bei Bedarf etwas abschnüre. Bei meinen Lederkombis warte ich einfach die Zeit ab, in der ich wieder in sie rein passe. Das ist allgemein auch die Zeit, in der unser Verkehr am gefährlichsten ist. Bei unseren Frauen ist das etwas komplizierter, weil die sich untereinander, extrem stark beobachten und bewerten. Damit steigt oder fällt sozusagen, das Sympathielevel.

Ich sage Joana, dass ich heute zum Verbandswechsel muss. Sie weiß das. Zu Marco habe ich das gestern schon gesagt. Dazu sage ich ihr, dass ich ein Stellenangebot in Galtür habe. „Da warst Du doch schon mal. Die haben Dich um den Lohn beschissen.“

„Ich glaube, es ist eine andere Firma.“

„Es muss auch eine andere Familie sein.“

„Ich kann das nur vor Ort entscheiden.“

„Wann kommst Du dann heute?“

„Ich versuche es gegen Mittag.“

„Wir brauchen etwa bis Drei mit der Wäsche.“

Joana wirkt heute Früh etwas ruhiger. Wahrscheinlich haben die Zimmermädchen ihr Pensum im Griff. Das funktioniert nur, wenn sie alle annähernd die gleiche Leistung bringen.

Mein Arzttermin ist gegen acht Uhr. Berücksichtige ich den Werksverkehr, der ganz sicher noch mit reichlich Touristenverkehr gemischt ist, werde ich für die Fahrt zwei Stunden einkalkulieren dürfen. Nach einer kurzen Körperhygiene und dem Ankleiden mit den entsprechenden Behinderungen, ist es auch schon reichlich nach Sechs. Allein für das Anziehen habe ich eine viertel Stunde benötigt. Das Anziehen der Schuhe war das größte Übel. Ich streife mit dem schmerzhaften Schnitt immer wieder eine Schuhkante oder den Reißverschluss auf der Innenseite. Hoffentlich fängt es nicht an zu bluten. Das würde mir noch fehlen. Der Verband sieht eh, schon so, zum Kotzen aus. Der Doktor wird sicher bemerken, dass ich etwas in der Küche gearbeitet habe.

Alfred steht unten im Foyer und es wirkt so, als hätte er mich bereits erwartet. „Gesundes Neues Jahr“, singt er schon fast. Wahrscheinlich gibt es, außer mir noch Gäste, die er bisher nicht begrüßen konnte. „Gleichfalls“, antworte ich. „Geht’s zum Dok?“, fragt er. „Ja. Und es tut jetzt schon etwas weh. Danach muss ich nach Galtür.“

„Zu wem?“

„Ich hab’s nicht richtig verstanden; Singer oder Sinner oder so.“

„Ah, ja. Die Chefin ist allein. Ihr Mann ist mit einer Deutschen abgegangen. Das ist ein schönes, aber sehr arbeitsreiches Plätzchen.“

„Nach dem Abgang, der Abgang“, sage ich zu Alfred.

„Genau so! Sag ihr schönen Gruß von mir. Dort hat es reichlich Arbeit.“

„Mach ich. Viel Arbeit, mag ich.“

„Fahr vorsichtig. Es ist stellenweise extrem glatt!“

Das Auto ist tiefgefroren. Ich werde es anstellen und einen Kaffee trinken gehen bei Marlies. Vorm Hotel stehen schon zwei Autos, die gerade auftauen. Man hört kaum einen Ton. Eine Standheizung wäre jetzt ganz sicher ein Volltreffer. Zu teuer für uns. Alfred kommt mit einem Heizlüfter und einer Verlängerungsschnur. „Das hilf, ist leise und sparsam.“ Wo er Recht hat, hat er eben Recht.

Marlies hat mich gesehen und schau, der Kaffee steht schon da.

„Wie war die Nacht? Schmerzen?“

„In der Nacht hatte ich keine, dafür aber nach dem Schuhe anziehen, erhebliche Schmerzen.“

„Mir geht das auch so. Mit einem Schnitt schlage ich immer irgendwo an.“

„Ich muss acht Uhr beim Arzt sein.“

„Du hast Glück. Heute ist relativ wenig Verkehr.“

Es deuten sich ein paar Erleichterungen an. Marlies kommt um die Ausgabe und gibt mir ein Küsschen auf die Wange. Womit habe ich das verdient?

„Dein Hirschgulasch gestern, war absolute Spitze. Ich hab welchen mit nach Hause genommen und wir haben das in Familie gegessen.“

Offensichtlich war Marlies abends noch mal da. Ich frag nicht weiter.

Wenn Alfred ihr welchen mitgegeben hat, dürfte es reichlich Überhang gegeben haben.

Das Auto ist aufgetaut und wirklich, wohlig warm geworden. Die Methode gefällt mir. Alfred nimmt Alles mit rein und verabschiedet sich. Ich werde auch noch bedient.

Das Einzige, was noch etwas steif wirkt, ist die Lenkung samt Bremsen. Ich muss vorsichtig fahren. Dursun winkt mir hinterher.

Bereits auf der Hautstraße, geht das Auto wie gewohnt. Ich kann wieder einhändig fahren, um meine Hand etwas zu schonen. Es blutet nicht. Den Reschen runter bin ich fast allein. Nicht mal ein Lieferant war zu sehen. An den Rändern zum Fels, war es spiegelglatt. In den Felsen hingen Eiszapfen von zwei-drei Meter Länge. Wenn die kommen, wird’s dunkel. Zum Glück ist hier kein Laster unterwegs. Bei den Kurven muss ich bisweilen meine zweite Hand mit benutzen. Es schmerzt noch. An der Schweizer Abfahrt in Richtung Sankt Moritz steht ein Auto und in Richtung Samnaun, keins. Die Orte wirken wie ausgestorben. Ich habe zumindest mit Personal gerechnet, das auf dem Weg zur Arbeit ist. Nichts. Die Disco in Pfunds, dunkel. Wie scheint, haben diese Feiertage wieder eindrücklich auf die Kreditkarten gewirkt. An der Abfahrt zu Serfaus wird es dagegen erheblich bewegter. Heimreiseverkehr. Ich bin nicht mehr allein auf der Straße und werde schon wieder von vollgepackten SUV’s mit Heck- und Dachgepäckträgern überholt. Mir fällt es schwer, den Scheibenwischer einzuschalten und dabei die Spur zu halten. Hinter diesen Traktoren bilden sich wahre Fontänen aus Salzwasser. An den Tankstellen finden sich ein paar Handwerker ein, die gerade noch ein Frühstück nehmen bevor sie zur Arbeit gehen. Im Tunnel von Landeck ist schon zähfließender Verkehr. Alles Deutsche und ein paar Holländer. Ich halte einen großen Abstand wegen deren Gepäckträgern. In Zams komme ich eine dreiviertel Stunde zu zeitig an. Vor der Klinik steht ein kleiner Imbisswagen, der auch Kaffee führt. Der Betreiber ist ein Türke. Er kocht einen Kaffee…, ein Hochgenuss. Wir reden etwas zusammen und er verrät mir, dass sie als Familie diesen Stand betreiben. Er hat Frühschicht und geht danach einkaufen. In den Ferienzeiten helfen ihm seine Kinder und sonst, seine Frau und seine Mutter. Auf den Öffnungszeiten hat er von sechs Uhr bis zweiundzwanzig Uhr stehen. „Wer kommt denn zu Ihnen, wenn das Krankenhaus geschlossen hat?“

„Dort! Schau! Dort is ne Haltestelle.“

„Und die bringt Ihnen die Gäste?“

„Joa. Hier muss Leute umsteigen und woartn.“

Er verkauft auch ein paar Zeitungen und Lotto. Unsere italienischen Landsleute lassen die Lottoverkäufer gut leben. Ich hab nicht gedacht, dass das in Österreich auch so ist. Auf alle Fälle, lohnt sich so der Imbiss.

Ich hab jetzt den dritten Kaffee rein und sehe, wie mein Arzt kommt. Er kommt zu uns und bestellt sich einen Kaffee. Der Imbissbetreiber möchte den Kaffee von ihm nicht bezahlt haben. Man kennt sich gut. Der Arzt sagt zu mir, dass er seiner Familie oft hilft. Ein Kind von ihnen ist etwas behindert nach einem Unfall. Wir gehen zusammen in sein Behandlungszimmer und er betrachtet meinen Verband.

„Sie haben gearbeitet.“

„Nein. Ich habe nur Probleme mit dem Besteck beim Essen.“

Der Doktor lacht laut; auch wegen meinem Sächsisch.

„Die Fäden können wir heute noch nicht ziehen.“

Jetzt, wo ich das sehe, muss ich ihm Recht geben. Es sieht grausam aus.

Er rammelt mir mit etwas Nachdruck, eine Spritze in den Hintern und eine in den Arm. Die zwickt besonders.

„Das ist für die Heilung und dafür, dass Ihnen der Schnitt nicht verfault.“

„Ich muss noch zu einer Vorstellung fahren.“

„In dieser Saison brauchen Sie sicher nicht arbeiten. Lassen Sie das! Sie können sich schwere Infektionen holen in der Küche. Das bekommen wir nicht so leicht hin.“

„Naja. Ich brauch aber Geld, weil ich meine Wohnung bezahlen muss. Als DDR – Migrant möchte ich nicht in Rückstand geraten und schon gar nicht um Aufschub betteln.“

„Ich gebe Ihnen mal ein paar Tabletten mit. Die helfen etwas. Übertreiben Sie nicht! In drei Tagen ist Verbandswechsel.“

„Samstag arbeiten Sie auch?“

„Mir geht es wie Ihnen. Die Raten drücken.“

Die Schwester kommt rein. Eine Schnecke. Mit ihr hat er sicher etwas Freude beim Bedienen der Raten. Etwas Freude versüßt das harte Arbeitsleben. Die Schwester hat wieder alle Unterlagen fertig und drückt sie mir in die Hand. Ich verabschiede mich und die Zwei wünschen mir eine gute Fahrt. Ich soll vorsichtig fahren im Paznauntal. Am türkischen Imbiss stehen gerade zehn Kunden und er winkt mir nur kurz zu. Ich winke zurück. Das Auto ist noch warm. Der Verkehr ist jetzt erheblich lebhafter geworden und vor Allem, mit reichlich Touristen gesegnet. Ich zwinge mich, langsam zu fahren. Hinter mir hupen die Touristen, weil ich in den vielen Kreisverkehren, nur bedingt flüssig lenken kann. Einige fahren mir fast Hinten rein. Zum Glück stehen auf einem Parkplatz vor einem Schuhgeschäft, ein paar Gendarmen. Die erlösen mich grade von meinen Verfolgern, in dem sie die rauswinken. Ich bedanke mich mit einem verbundenem Handzeichen bei ihnen. Ich fühle mich jetzt wie ein Tiroler. Vielleicht haben sie auch den dicken Verband gesehen an meiner Hand. An der Abfahrt zum Paznauntal steht Alles. ‚Das wird eine Geschichte‘, denk ich mir. Der Stau war nur ganz kurz; keine fünf Minuten. Und siehe da, es liegen wieder Skiausrüstungen auf der Straße. Zwei SUV-Schrott stehen dabei, die sich beim Mittefahren geküsst haben. Die Gendarmen leiten den Verkehr ganz routiniert um diese zwei Idioten und schon gehe ich den Weg nach Galtür etwas lockerer an. Beim Bäcker in Kappl halte ich kurz an, um mir bei ihm einen Kirmeskuchen zu kaufen. Ich bin der Einzige im Geschäft. Der Thüringer Landsmann hört mich und kommt sofort in den Laden gestürmt. „Wie geht’s?“

Ich zeige ihm meinen Verband und er drischt sich mit seiner Mehlhand an die Stirn.

„Komm’ma zu mir; dann lern ich Dir, mit’m Messer umzugehn. Isses schlimm?“

„Ziemlich. Ich kann das ni so genau beurteil’n.“

„Was will’ste denn? Kirmeskuchen?“

„Naja. Wieviel haste denn?“

„Ä frisches Blech.“

„Ä Bäckerblech?“

„Joa.“

„Geb mir es halbe.“

„Mester, ich kann Feieroamt machen! Dr Sachse koft e halbes Blech Kuchn.“

Der Meister kommt persönlich und hat frische Semmeln mit.

„Wieviel?“

„Noja. Mach Zehne.“

„Die Schenk ich Dir!“

„Ich wer verrickt. Die muss’te mir ni schenken!“

„Invaliden kriegen Stütze bei mir. Geb mir Dreißig und die Sache ist gegessen. Den Rest schreib ich beim Wolfgang mit drauf; Unfallzuschuß.“

„Ich hab nur zwe Zwanzscher. Stimmt so. Iss für’n Kaffee.“

„Eh. Komm’ma wieder!“

„Ich muss hoch nach Galtür.“

„Lass Dich ni bescheißen dort Om. Gute Besserung! Foahr vorsischtisch!“

Der Verkehr ist erträglich und Staus gibt es nicht. Bei Wolfgang will ich erst auf dem Rückweg reingehen. Maria steht vor der Tür und sieht mein Auto. Sie winkt. Ich halte kurz an und sage ihr, dass ich auf dem Rückweg vorbei komme. In Ischgl steht die ganze Gendarmerie an der Straße und kontrolliert. Mich winken sie durch. Mir scheint, es ist eine Alkoholkontrolle. Bei den Saufnasen, kann das nur ein Erfolg werden. Auf dem Heimweg werde ich das im Radio erfahren, wie viele Führerscheine eingezogen wurden. Da wird wieder reichlich Platz auf den Straßen. Leider wächst das versoffene Unkraut zu streng nach.

In Galtür angekommen, stell ich fest, es ist die gleiche Familie, die das letzte Mal so beschissen hat. Ich verhandle mit der Chefin und trage mein Anliegen vor. Sie bedauert das und entschuldigt sich. Sie will es wieder gut machen. Der Koch hat geschmissen. Sie hat einen Ersatz bestellt und ich soll ihr so lange dienen, bis der eingearbeitet ist. Ich zeige ihr meinen Verband und sie sagt, dass das für sie in der Not, keine Rolle spielt. In dem Betrieb gehen zwischen fünf- und achthundert Essen pro Tag. Ich verlange den dreifachen Chefkochmonatslohn in Tagesabrechnung. Sie ist einverstanden. Sie stellt sich mit Rosi vor und der Mann, der im Büro steht und uns zuhört, ist Andreas. Er fungiert als Hausmann, besser gesagt, als Mann für Alles. Er wirkt etwas schlampig, ist aber ziemlich fit und flott. Wir gehen in die Küche und dort stehen zwei Köche. Beide sehen ziemlich abgearbeitet aus. Ich schaue ihnen etwas bei der Vorbereitung zu und stelle mich vor und die nötigen Fragen zum Tagesablauf. Der Salatkoch stellt sich mit Jürgen und der Zweite, mit Alois vor. Jürgen ist ein recht großer, fester Kollege, der mir etwas hochdeutsch klingt. Ich sage ihm, dass er mit der Voraussetzung schon mal die Annonce mit übernehmen kann. Er sagt, er kommt aus Deutschland und möchte Saisonarbeit lernen. Alois kommt aus der Grazer Gegend. Das ist schon mal ein ganz schöner Weg nach Galtür. Er hätte in der Nähe eine Freundin und deswegen ist er da.

Die Gerichte für das Tagesgeschäft sind einfache Imbisse. Abends werden etwas festere Speisen angeboten. Menüs für Hausgäste werden nicht gesondert gekocht, dafür aber ein oder zwei Tagesgerichte. Insgesamt klingt das ziemlich übersichtlich und von den Ansprüchen her, auch gemütlich. Wir verabreden uns für Morgen, acht Uhr.

Kaum komme ich zur Chefin, fragt sie, ob wir uns einig geworden sind. Der Ersatzkoch kommt auch morgen, hat sie gerade erfahren. Sie legt mir gleich einen Vertrag hin. Das würde ziemlich streng kontrolliert bei ihnen. Andreas fragt mich, ob wir noch einen Kaffee zusammen trinken. Ich begrüße das Angebot, weil die Wirkung des schon getrunkenen Kaffee’s, nachzulassen scheint. Andreas sagt, er ist Deutscher und er hat sich in die Gegend verliebt. Rosi wird leicht rot bei der Aussage. Ich befrage die Beiden nach der aktuellen Lawinensituation und sie antworten mir, dass da im Moment nichts zu befürchten ist. Wir verabreden uns auf acht Uhr, morgen Früh.

Jetzt steig ich schnell ins Auto, um noch rechtzeitig meinen lieben Wolfgang und seine Maria zu erreichen. Ich muss unbedingt sehen, wie der Laden läuft. Es ist Mittagszeit und auf den Straßen ist schon erheblicher Betrieb. Der Parkplatz von Ischgl ist rappelvoll. Im Ort staut es gewaltig. Man ist beim Einkaufen. Als Koch könnte ich mir in Ischgl nicht mal eine Tüte Bonbons kaufen. Der Großteil des ausländischen Personals geht meist in Landeck einkaufen. In den Touristenhochburgen gibt es für das Personal wenig Möglichkeiten. Meist werden die Kollegen beauftragt, Etwas mitzubringen. Die beengten Verhältnisse in den Personalzimmern, die Preise für Tanzveranstaltungen, Kaffee oder ein Stück Kuchen, sind unerträglich und wirklich nur mobil zu ertragen. Und genau das erlebe ich jetzt zu Mittag. Neben den Touristen, fährt jetzt das Personal der Gegend zur Zimmerstunde, das Personal, welches frei hat, in die Stadt oder zurück, die Neuanreisen in ihre Hotels, die Eltern ihre Kinder abholen und die Frühstückskräfte nach Hause. Der Weg nach Kappl dauerte entsprechend und ich habe den Gasthof erst nach dem Mittagsgeschäft erreicht. Die Jungs waren bereits auf Zimmerstunde und Wolfgang auch. Maria stand noch an der Rezeption und war wirklich erfreut, mich relativ gesund wieder zu sehen. „Der Verband ist aber ganz schön groß.“

„Du müsstest mal den Schnitt sehen, der ist genäht worden und sieht nicht wirklich gut aus.“

„Aber, das Autofahren geht schon wieder.“

„Ja. Ich muss auch etwas arbeiten, weil unsere Raten bezahlt werden müssen. Wir wollen im Frühjahr fertig sein damit.“

„Wir werden wahrscheinlich nie fertig mit unseren Raten. Es ist zu viel.“

„Hat sich schon Etwas ergeben mit der Versicherung und dem Notstandsfond?“

„Nichts. Ich drehe fast durch. Die Schreiberei….es ist kaum zu schaffen.“

„Lass das doch den Hotelverband machen.“

„Die tun auch nichts. Trinken wir einen Kaffee?“

„Ich bezahle. Ist Soltan noch da?“

„Die sind Alle kurz mal zu Hause. Nur Muchmat und Ali sind noch da. Zum Glück. Die Zwei schmeißen das halbe Geschäft.“

Wolfgang hat mich entweder gesehen oder gehört. Er kommt zu uns und wirkt, in meinen Augen, etwas matt und abgearbeitet.

„Schau mal in den Keller. Da hängen wieder Zwei.“

Er hat zwei Gamsen geschossen. In diesem Jahr gibt es zu viele von Denen.

Wolfgang erzählt von meinem Ersatz und, dass er sich schon recht gut eingelebt hat. Er braucht keinen Koch. ‚Zum Glück‘, denke ich mir, weil ich schon in Galtür unterschrieben habe. Ich sage das Wolfgang und er macht mich auf meinen Krankenschein aufmerksam.

„Ich muss Etwas tun, weil mich auch meine Wohnungsraten drücken“, antworte ich ihm.

„Und das Krankengeld?“, fragt er mich.

„Naja; das reicht. Aber nicht für die Bewegungen, die Joana und ich, so noch haben. Die Arbeitswege bezahlt Keiner außer uns und die sind teuer.“

„Da hast Du schon recht; trotzdem ist das etwas ungewöhnlich.“

„Im Winter geht am Auto viel kaputt. Ich muss das so machen.“

Wir gehen noch etwas in die Küche und sich stelle fest, dass Wolfgang auf mich gehört hat. Er hat die Küche genau so umgestellt, wie ich es ihm empfohlen habe.

„Geht es so besser?“, frage ich ihn.

„Du bist der Beste. Deine Ideen passen gut zu uns. Die Kollegen kommen damit auch bestens zurecht.“

Wolfgang geht in den Keller und bringt mir eine Gamskeule mit. Er weiß, dass ich die zu gern esse. Maria gibt mir ein Küsschen auf die Wange und Wolfgang drückt mich ganz innig beim Abschied.

Die Fahrt aus den Paznauntal ging recht flüssig. In Landeck gab es keine Behinderungen und die Stadt wirkte wie ausgestorben. Auf der Landstraße in Richtung Oberes Inntal herrschte etwas mehr Betrieb. Es waren viele Touristen unterwegs; auch in Richtung Reschen. An den Abfahrten in Richtung Serfaus und in die Richtung Schweiz, bogen die meisten Touristen ab. Ich dachte immer, in Nauders und am Reschen wären die meisten Touristen. Offensichtlich ist das heute, anders. In meine Richtung fahren nur zwei Lieferautos.

Der erste Weg, im Hotel von Alfred, war der Weg in die Küche mit meiner Gamskeule. Marco schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Das fehlt mir jetzt noch!“

„Ich würde die nur bei Dir kurz anbraten und in den freien Holdomat stellen.“

„Da ist heute überall Platz. Das kannst Du sicher machen.“

„Danke, mein Gutster.“

„Brauchst du sonst noch etwas Hilfe?“

„Mir ist die Creme schief gegangen. Ich muss die nacharbeiten.“

„Ich komm dann mal runter und mache Dir die zur Abendausgabe fertig.“

„Geht das?“

„Aber sicher. Hast Du Mascarpone oder Topfen da?“

„Ja, ganz frisch. Okay, dann kann ich jetzt auch eine kurze Zimmerstunde nehmen.“

„Bis dann.“

Ich brate im Backofen die Keule an und hänge sie in den Holdomat. Joana wird sich freuen. Ich weiß nur nicht, ob wir sie hier oder zu Hause essen.

Eigentlich brauche ich ein paar Kochsachen und etwas Werkzeug. So viel ich weiß, haben wir das Alles hier gelassen. Joana weiß das genauer. Sie ist mein Gepäckmanager.

Im Zimmer ist Joana noch nicht und ich lege mich kurz hin bis sie kommt.

Der Tag war hart genug bis jetzt. Dreißig Minuten später, weckt mich Joana. „Deine Sachen habe ich alle frisch gewaschen und Deine Messer sind im Schrank.“

Wahrscheinlich hat Joana noch Marco getroffen, der Ihr das gesagt haben muss. Ich frag Joana, ob sie mit in die Küche geht, wenn ich die Creme herstelle. „Gerne“, ist die Antwort. Wir haben aber noch eine Stunde Zeit für ein kurzes Schläfchen.

Nach der verdienten Ruhe gehen wir in die Küche und ich zeige Joana die Keule von Wolfgang. Die Freude ist groß und wir werden das Teil mit unseren Kollegen verschmausen.

Die Creme soll eine Nougatcreme werden. So steht es im Menü. Nougat ist gefährlich und so manche Creme geht damit schief. Vor allem, unter Zeitdruck. Bei Cremes gibt es schnelle Methoden und etwas langsamere, gründlichere und damit auch preiswertere. Normal wird eine Creme im Dämpfer hergestellt. Der Koch stellt dafür eine Milch oder Sahne mit dem entsprechenden Aroma her und bindet das mit Eigelb und Ei. Nach der Bindung wird die Creme in Schalen gefüllt und im Dämpfer, je nach verfügbarer Zeit, zwischen achtzig und einhundertzwanzig Grad, gestockt. Das Ei bindet dann die Creme und die bekommt damit den Schnitt. Die schnelle Methode bedarf einer Schlagsahne nebst den geschmacklichen Zutaten. Es gibt auch Cremes, die mittels Gelatine gebunden werden. Die einzige a la Minute-Methode ist also die mit der Schlagsahne. In dem Fall, muss, wenn mit Gelatine gearbeitet werden soll, die Gelatine erwärmt, verflüssigt, mit den Aromen versetzt werden und mittels geschlagener Sahne, zur Gelatinemischung hin gearbeitet werden. Im Fall von Nougat ist das schwierig, weil verarbeitetes Nougat einen sehr hohen Fettanteil hat, der etwas zum Abgehen neigt mit steif geschlagener Sahne. Eine andere Methode ist die, wie sie bei Schokomousse verwendet wird. Man nimmt sich genug Nougat in Tafelform, erwärmt das und rührt vorsichtig geschlagene Sahne in das Nougat. Nach dem Erkalten, ergibt das eine Art, Pariser Creme. Marco benutzt aber Frühstücksnougat. Und das ist eben etwas flüssiger und fettreicher. Dafür schlage ich in die Schlagsahne etwas Topfen oder Mascarpone ein. Und genau diese steife Sahne, verrühre ich mit dem flüssigeren Nougat. Und siehe, es bleibt steif. Wir verfüllen das schnell in Dessertgläser. Marco streut dann etwas gehackte Nuss darauf, steckt eine Hippe hinein und schon geht das.

Marco und das restliche Personal kommen zum Abendessen. Ich nehme die Keule aus de Holdomat und gebe dem Braten in einer Pfanne noch die nötige Kruste. Den Saft kocht Marco noch zu einer Sauce und wir essen dazu Kroketten, die uns Joana zubereitet. Wenn das Wolfgang wüsste, er würde sofort in die Hände klatschen. Alfred hat sich zum Kosten eingefunden und er gibt uns Komplimente.

Marco gibt sein Menü heute mit dem Abspüler aus. Das reicht. Es gibt Suppe und Schnitzel. Zur Not ruft er ein Zimmermädchen zu Helfen.

Ich gehe mit Joana ins Zimmer. Heute gehen wir zeitig ins Bett.

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