Tag 39
Joana weckt mich, gibt mir einen Kuss und geht. Der Kaffee ist schon fertig und ein Brötchen liegt auch noch da. Das reicht für den Tag. Allgemein esse ich am Tag nur einmal. Je früher, desto besser. Das viele Probieren und Kosten tagsüber, macht eine vollwertige Mahlzeit überflüssig in unserem Beruf.
Als Erstes gehe ich runter zu Marco. Der ist noch nicht da. Maria bringt mir einen Kaffee. Ich sage ihr nicht, dass ich gerade vom Kaffeetrinken komme. Alfred kommt und fragt mich, ob es mir bei Ruth immer noch gefällt. Nebenbei richte ich ihm den Schönen Gruß von Ruth und Martin aus. Irgendeinen Grund hat er, warum er mich fragt. Ich frage ihn nicht danach.
„Jetzt kommt die ruhigere Zeit.“
„Naja. Das ist gut so. Die Kollegen wollen auch mal frei haben. Ich schätze, dass da einige Tage zusammen gekommen sind.“
Die Unternehmerschaften vergessen das leicht.
„Haste Recht. Das wird jetzt trotzdem schwierig. Die Kollegen wollen die freien Tage zusammenhängend. „
„Bei Dursun, der nur halbe freie Tage bekommt, wird sich das eine gute Woche hinziehen.“
Ich reize Alfred etwas. Irgendwann muss er sich eh um einen zweiten Hausmann bemühen. Den Schlag auf den Hinterkopf hat er verstanden.
„Ich suche schon die ganze Zeit einen zweiten Hausmann. Langsam werden unsere Anforderungen immer höher.“
„Die Preise aber auch.“
Alfred lacht: „Du Schlawiner!“
„Ich muss los. Bis heute Abend.“
„Machs gut.“
Alfred habe ich mit meinem Sächsisch schon etwas angesteckt. Er redet das schon fast fließend. Maria gibt sich noch Mühe. Sie lacht immer, wenn ich etwas sage. Maria spielt oft den Dolmetscher und sagt mir, wie das jeweilige Wort, tirolerisch gesprochen wird. Das ist schon auch wichtig. Vor allem, wenn ich verstehen möchte, was Leute um mich herum in Mundart sprechen.
Den Reschen runter in Richtung Pfunds gab es keine Probleme. In Pfunds selbst, stand eine Gendarmenkontrolle, die mich anhielt:
„Sie haben den DDR Führerschein. Gilt der noch?“
„Sie sind der Gendarm. Ich kann Ihnen das schlecht sagen. Ich weiß nur, dass ein Führerschein noch nicht verfällt.“
Im Grunde kann man in dem System nicht sagen, was deren Vertretern morgen einfällt. Es ist nicht das erste Mal, dass ich deswegen solche Fragen beantworten soll.
„Wohin fahren Sie?“
„Ich möchte auf Arbeit zu Ruth und Martin.“
„Achso. Sag bitte einen Schönen Gruß.“
„Mach ich. Bis bald.“
Ich bemerke, dass in Österreich besonders gern Fahrer mit italienischen Autonummern angehalten werden. Der einheimische Arbeiterverkehr fährt an mir vorbei und deren Fahrer lächeln mitunter. Dabei wissen fremde Köche, wie besoffen ihre österreichischen Kollegen auf Arbeit ankommen. Bei uns in Südtirol ist das nicht viel anders. Ausländer sind gut beraten, sich da nicht einzumischen.
Bei Wolfgang und Maria wollte ich noch mal vorbei schauen. Die Zeit dafür habe ich. Maria steht an der Rezeption und Wolfgang in der Küche. Wolfgang war über die Feiertage nicht zur Jagd. Er hat genug Reserven. Er steht allein in der Küche mit einem Kollegen, der gerade aus dem Kühlhaus kommt. Es ist Zolt. Er fällt mir fast um den Hals:
„Die Saison war schlimm dieses Jahr.“
„Seid Ihr jetzt zu Zweit?“
„Nein. Ein Neuer kommt etwas später. Wir bereiten nur vor.“
„Und Markus?“
„Die sind auch zu Dritt in der Hütte. Die haben mehr zu tun als wir in diesem Jahr.“
Wir trinken noch einen Kaffee zusammen, schnattern etwas über die Feiertage und die Familien. Es wird Zeit, sich zu verabschieden. Wolfgang freut sich, dass ich bei Ruth arbeite:
„Der Platz bei Ruth ist sicher aber für sehr wenig Geld.“
Oje, dieser Rat war ja fast schon tödlich. Ich sage dazu nichts, weil sich jede Äußerung, im Tal sofort herum spricht. Irgendwie erklärt sich da auch das stumme Wesen der Tiroler. Wenn Einer etwas sagt, weiß es am Tag darauf, der ganze Ort. Der Gag ist eigentlich, dass die Einheimischen gerade die DDRGastarbeiter bezichtigen, besonders redselig zu sein.
Ich komme bei Ruth und Martin an. Die jungen Kollegen sind schon da und beim Frühstück. Wie ich von Ruth erfahre, gibt es heute als Tagesessen:
Tortellini
und
Leberkäse mit Ei und Püree.
‚Da hab ich wenig zu tun‘, denke ich mir. Irrtum!
Ruth verlangt von mir, dass ich drei Strudel und mindestens drei Blechkuchen backe. Dabei zeigt sie auf die großen Bleche. Der Backofen vom Herd hat hoffentlich Umluft. Sonst muss ich jedes Blech einzeln oder sechs Bleche im Dämpfer backen. Und da würde mir die Jugend aufs Dach steigen. Ich frage Ruth und sie gibt mir eine positive Antwort. Der Backofen hat Umluft. Ich kann zwar alle Bleche mit einem Mal schieben, muss sie aber trotzdem umhängen. Backöfen sind mit Ober- und Unterhitze ausgestattet. Das ist manch Mal eben zum Vorteil und das andere Mal, zum Nachteil. Strudel backe ich Ruth vier Stück. Das geht etwas besser in den Gastronormbehältern.
„Ihr seid heute zu Zweit“, sagt Ruth noch. Offensichtlich ist Jan und seine Danka nur da, um etwas Geld abzuholen. Sie wollen Einkaufen gehen. Martin macht heute Zahlmeister zum Lohntag. Er sitzt mit der Brille am Frühstückstisch und hat einen Haufen Lohnunterlagen dabei. Ich hab mich schon gewundert. Alle wirken heute besonders freundlich und locker.
Den Teig setze ich heute gleich mit der Maschine an und gebe ihn zum Ruhen ins Kühlhaus. Während dessen, schäle ich die Äpfel und schneide sie gleich um das Kerngehäuse in Stücke. Die Stücke lasse ich durch die feine Scheibe der Küchenmaschine. In der Schüssel würze ich die Scheiben mit gemahlenem Zimt, gemahlener Nelke, Zucker, Zitrone und einer Prise Salz. Ruth hat, „Gott sei Dank“, alle Gewürze gemahlen da. Sonst hätte ich sie erst mahlen müssen.
Emil kommt mit seiner Vorbereitung gut vom Fleck. Er braucht keine Hilfe.
Ich such mir in der Küche einen Platz, an dem ich den Teig ausrollen kann. Emil zeigt ihn mir. Er ist etwas zu gebaut mit Geschirr. Und siehe da. Es ist ein Marmorarbeitstisch.“Den Tisch habt Ihr lange nicht gebraucht“, sage ich zu Emil.
„Nein. Wir haben Strudel und Kuchen vom Bäcker kommen lassen. Dein Vorgänger konnte nicht backen.“
„Ich hatte einen Vorgänger?“
„Ja. Der hat die Arbeit nicht geschafft und hat laufend durchgedreht. Letzte Woche hat er geschmissen.“
„Ist Topfen im Haus?“
„Der ist gestern frisch gekommen.“
Na dann, geht es ziemlich schnell. Ich backe auch gleich ein – zwei Quarkkuchen mit. Einen als Eierschecke und den anderen als Kirmes. Für die Apfel- und Quarkkuchen setze ich noch eine Konditorcreme an. Das reicht. Von der Creme mach ich gleich etwas mehr, weil ich die für die Quarkkuchen mit nutze. Jetzt, bevor ich die Kuchen auflege, schalte ich den Backofen ein und heize auch den Dämpfer vor. Emil ist schon fertig mit seinen Sachen. Er ist schnell und routiniert. Das mit dem Dämpfer, hat er von mir abgeschaut. Den Quark kann ich gleich mit einer sehr guten Handrührmaschine in einem doppelt großen Kübel würzen und umrühren. In einem Topf oder Eimer macht das zu viel Krach und es schadet der Maschine.
Für die Kuchen samt Strudel habe ich jetzt eine und eine halbe Stunde gebraucht. Ich bin aus der Übung. Das ging schon mal schneller. In einer Stunde und zehn Minuten ist alles fertig gebacken. Ich hoffe doch, dass unsere Gäste etwas abbekommen. Die Kuchen sehen gut aus. Wenn das Joana sehen würde. Ich muss fragen, ob ich ihr ein Stück mitnehmen darf.
Zu Mittag verkaufen wir etwas um die zweihundert Portionen mit den Arbeiteressen. Das ist wenig. Martin fragt laut, wo die Gäste sind und wird schon etwas zerrig. Er gießt sich einen Obstler ein und schluckt den mit einem Ruck weg. Danach herrscht Ruhe. Kamil, unser Abspüler, macht inzwischen die Teller für die Jause fertig. Mira, seine Frau, setzt die Kaffeemaschine an. Der Betrieb funktioniert wie geschmiert. Das Team arbeitet sicher schon ein paar Jahre zusammen.
Ruth kommt in die Küche und zeigt mir, wie groß die Kuchenstücke portioniert werden. Jetzt weiß ich, warum sie drei große Bleche braucht.
Martin drückt mir meinen Tageslohn in die Hand und wünscht mir einen schönen freien Tag. Sie haben meinen freien Tag nicht vergessen. In manchen Betrieben muss ich für einen freien Tag, zwanzig Mal betteln. Ich bin positiv überrascht.
Sechs Stunden Arbeit in Sechs-Tage-Woche, ergäben eine Wochenarbeitszeit von sechsunddreißig Stunden. Nur vier Stunden mehr pro Woche und ich wäre vollbeschäftigt. Vielen Leuten ist nicht im Geringsten klar, was eine Arbeitszeit von sieben bis vierzehn Uhr und von siebzehn bis zweiundzwanzig Uhr bedeutet in einer Sechs-Tage-Woche. Neben vier Arbeitswegen, ist das zwei Mal, schwere Arbeit an einem Tag. Ich habe viele Kollegen, die halten das keine zehn Jahre aus. Kollegen, die das dreißig Jahre lang tun, sind dreißig Jahre lang, Leistungssportler. Profileistungssportler bekommen dafür, in der gleichen Zeit, mehrere Millionen an Gage.
Auf meinem Weg nach Nauders, treffe ich im Paznauntal schon reichlich Arbeiterverkehr in Richtung Landeck. Diese Leute fahren routiniert und zügig. Es gibt kaum Behinderungen oder Stau. Viele biegen unterwegs ab. Sie kommen aus den kleinen Ortschaften im Paznauntal. Um in diese Ortschaften zu gelangen, muss man gut fahren können. Das ist in allen Alpentälern gleich. Gelegentlich sehe ich ein paar Touristen. Meist sind es holländische Nummern. Dieses Mal fahre ich durch den Tunnel. Die Luft drinnen ist etwas klarer als an den Feiertagen. Nachmittags ist wenig Lieferverkehr zu sehen. Langsam scheint sich die Lage zu entspannen.
Bis nach Nauders komme ich heute ohne jegliche Behinderungen. Nauders hingegen scheint sich langsam mit Holländern zu füllen. Ich sehe auch ein paar italienische Landsleute.
Heute steht Alfred vor dem Hoteleingang. Ich frage ihn, ob er heute Gepäckträger ist. Er lacht. „Bisweilen würde mir das gut tun; die Bewegung, meine ich.“
„Im Gasthof meiner Eltern habe ich das getan.“
„Und; hat es sich gelohnt?“
„Bei dem Besatzervolk, nicht.“
„Und bei den Anderen?“
„Da schon. Es waren sehr viel bekannte Künstler dabei. Die waren aber mitunter in ihrem Freizeitverhalten sehr anstrengend für mich.“
„Das glaub ich sofort. Trinken wir noch einen Verlängerten?“
„Gerne. Ich hab zwei Stück selbstgebackenen Kuchen mit. Eins können wir fressen.“
„Den haste für Joana mitgebracht, oder?“
„Ja.“
„Die Joana braucht den mehr als ich.“
Dabei greift er sich auf seine Taille.
„Mit Fressen mein’ste sicher, dass er gut geworden ist.“
„Aber sicher!“
„Ich nehm’ne Ecke. Scheiße; der ist gut! Back den mal für mich morgen!“
„Da brauch ich Topfen. Den muss Marco da haben.“
„Wenn nicht, hol ich den selbst.“
„Na dann. Bis morgen.“
„Gute Nacht!“
Joana ist schon auf dem Zimmer und wartet auf mich. „Wollen wir fahren?“
„Wie wird morgen das Wetter?“
Wir schauen schnell nach und müssen feststellen, dass Niederschläge angekündigt sind. Also, bleiben wir da. Joana freut sich auf den Kuchen und wundert sich nicht, dass er etwas angeknabbert ist. „Das war Alfred, oder?“
Wir schauen noch zwei Filme, von denen ich, einen nicht ganz schaffe.
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