Tag 50
Ehrlich gesagt, ich wecke mit einem gehörigen Kater auf und muss erst mal Wasser trinken. Uschi und Caio sind schon auf und sie sitzen am Frühstückstisch. Joana auch. Joana hat mit einen Liter Kaffee gebrüht. Gefiltert kann man den Kaffee nicht trinken. Caio lacht mich fast aus, als er mich sieht.
Heute soll es auf die Pferderennbahn am San Siro gehen. Draußen hupt es. Wie scheint, ist der gesamte Ort im Aufbruch. Alles bewegt sich in Richtung Stadtausfahrten. Auf den Autos sind oft Skier, Schlitten und Snowboards zu sehen.
„Am besten, wir warten noch Etwas mit unserer Abfahrt“, sage ich zu Uschi. Uschi übersetzt das für Caio sofort. Er nickt und gibt ein paar Kommentare. Einen Großteil davon verstehe ich.
„Si. Poco tempo“, stottere ich ihm hin. Er freut sich. Etwas schneller redend, lässt er mich durch Uschis Mund wissen, wann ich endlich fließend Italienisch kann. Ich antworte über Uschi:
„Wenn er mir sagt, wie ich das bei Sechs-Tage-Woche und fünfzehn Stunden Arbeit pro Tag, im Schlaf lerne, geht es schneller.“
Sein Mitleid hält sich, innerlich, irgendwie in Grenzen. Äußerlich gibt er gestenreich Zustimmung. Das liebe ich an unseren Gastgebern.
Die Parkplätze vor unserem Haus sind wieder leer. Nur Wenige sind besetzt. Vor allem jene vor der Bar. Die ist rappelvoll. Das Lokal scheint gut zu laufen.
Wir gehen vor das Haus zum Auto von Caio. Unterwegs schauen wir bei unserem Auto vorbei. Es ist unbeschädigt. Caio hat sein Auto in einem Innenhof stehen. Das kostet etwas Geld. Uschis Auto steht draußen. Neue oder teure Autos, lassen die Mailänder nicht Draußen stehen. Das System scheint zu funktionieren. Mit dem Diebstahl von alten Gebrauchtautos wird auch gleichzeitig der Schrott entsorgt.
Der Verkehr lässt nach und wir fahren los. So leer, wirkt die Stadt irgendwie schön und übersichtlich. Im San Siro – Gelände sind die Parkplätze gut belegt. Es gibt freie Plätze. Wir parken dort. Vor uns steht das Riesenstadion. Ein Betonklotz. Wir sehen drei vier Leute, die dort putzen und Müll aufräumen. Caio geht zu einem hin und redet kurz mit ihm. Er winkt uns zu. Auf einem stufenlosen Wendelgang gehen wir nach Oben. In jeder Etage ist ein Ausgang. Oben angekommen, gehen wir ins Innere. Ehrlich gesagt, mir bleibt der Mund offen stehen. Ich hab zwar schon einmal ein großes Stadion gesehen. In Leipzig. Bei einem Spiel von Leipzig gegen Marseille. Aber, das ist schlägt mir den Atem aus. Wunderschön. Jetzt kann ich verstehen, warum die Mailänder gern so massenhaft ins Stadion rammeln. Bei dem Verkehr können wir nicht von Gehen reden.
Gegenüber ist die Pferderennbahn. Caio scheint schon etwas nervös und Uschi auch. Ich frage, ob denn heute Rennen sind. „Ja. Gleich“, sagt Uschi. „Gehen wir da hin?“
„Willst Du das auch mal sehen?“
„Joana nickt.“
Vor der Rennbahn stehen massenhaft kleine Buden. Ich frage Uschi, ob wir dort einen Imbiss kaufen können.
„Das sind Buchmacher“, antwortet sie mir. „Imbisse sind Drinnen.“
Die Zwei gehen zu einem der Stände. Sie kommen mit unseren Eintrittskarten wieder. Wir gehen hinein. Es ist eine sehr schöne Anlage. Selbst im Winter ist dort Alles grün. Man könnte meinen, die haben das gefärbt. Platz ist genug. Alles ist überdacht. Wir setzen uns und Caio geht noch mal weg. In der oberen Reihe sind wieder Verkaufsstände. Wir hören einen Signalton. Darauf hin kommen einige Pferde, die von zwei oder drei Begleitern geführt werden. Auf den Pferden sitzen scheinbar Kinder. Keiner ist größer als einssechzig.
„Ist heute Jugendrennen?“
„Nein! Das sind die Jockeys!“
Irgendwie kenne ich das aus Meran. Dort reiten immer Mal Leute mit Pferden über die Gampenstraße. Ich dachte immer, das sind Jugendliche. Meine Unwissenheit hat vielleicht damit zu tun, dass ich diesem Sport Nichts abgewinnen kann. In meinen Augen, ist das kein Sport. Ein Rennen läuft und die Zwei scheinen sich fürchterlich aufzuregen. Sie haben gewettet und verloren. „Alles Betrug“, wettert Uschi.
„Warum kaufst Du dann diese Wetten?“, frag ich sie.
Ich glaub, die wissen das selbst nicht. Keiner von Denen würde jemals im Laden oder auf dem Markt ein Produkt kaufen, bei dem er weiß, dass er offensichtlich beschissen wird. Sie würden es nicht mal kaufen, wenn sie der Meinung sind, es ist zu teuer. Ein Blick auf unsere Speisenkarten und die damit verbundenen Bestellungen, belegt das. Der Tag scheint versaut. Joana treibt. Sie möchte dort gehen. Schweren Herzens gehen die Zwei mit.
Wir fahren an der Mailänder Messe vorbei und Caio möchte uns noch Monza zeigen. Wir fahren ein Stück auf der Autobahn, ein Stück auf einer Superstrada und schon sind wir im Monzapark. Sehr schön. In dem Park trainieren Rennradteams. Caio erkennt sie am Trikot und ruft ein paar Namen. Zwei winken Caio zu. Wir kommen zum Motodrom. Caio will mir das unbedingt zeigen. Dort trainieren gerade ein paar Rennautos.
„Ich kenne die Rennstrecke. Ich war schon zwei Mal hier. Zum Superbikerennen.“
„Und da hast Du nicht angerufen?“, fragt Uschi.
„Hab ich aber. Ihr wart jedes Mal nicht da.“
Den Besuch solcher Rennen kann ich nicht planen. Generell bekomme ich als Ausländer gesagt, dass zu der Zeit der meiste Betrieb ist auf Arbeit. Selbst, wenn mein Arbeitgeber mir freie Tage schuldet, ist das kaum möglich. Wir gehen hinein und dürfen jetzt die Rennautos anschauen. Anscheinend haben gerade die Ferrarifahrer eine Trainingsstunde gekauft.
Caio will uns ein gutes Restaurant zeigen. Auf dem Weg dahin sehen wir Bogenschützen. Boccia wird unmittelbar vor dem Restaurant gespielt. Und das mit Bedienung. Caio fragt den Kellner, ob Drinnen Platz ist. Der Kellner nickt. Uschi meint, hier gäbe es die größten Mailänder Schnitzel in ganz Mailand. Ich dachte erst, sie haut auf die Welle. Irrtum. Drinnen angekommen, durfte ich sechsunddreißiger Teller sehen, die bis zum Rand mit einem Schnitzel belegt waren. In Deutschland wird Pizza ja auf relativ kleinen Tellern verkauft. Auch bisweilen in Südtirol. Dort sind Pizzateller maximal zweiunddreißig Zentimeter. Hier kommt die Bedienung mit sechsunddreißig Zentimeter großen Tellern. Auch wenn das Schnitzel gut geklopft ist, wird es ganz sicher um die zweihundert Gramm wiegen müssen für diese Größe.
Wir bestellen Schnitzel. Und ausgerechnet hier, gibt es Bier vom Fass. Leider nur bayrisches. Caio bestellt uns zwei. Joana möchte keins. Uschi muss fahren. Bis zu dem Moment, als das Bier kam, war ich noch nicht mal nüchtern vom Tag vorher. Joana guckt schon etwas zornig. Ich kann einfach nicht Nein sagen, wenn ich eingeladen werde.
Der Spaziergang zum Auto mit einem kleinen Umweg war mehr als nötig. Die Luft und die Bewegung tut gut. Mit scheint, als hörte ich jetzt Motorräder. Caio hat das bemerkt und wollte vielleicht selbst, auch mal schauen. Wir gehen einen Zwischenaufgang hinauf. Es stimmt. Motorräder. Einige Maschinen kommen mir bekannt vor. Auf einmal grüßt ein Fahrer und hinter ihm, wein zweiter. Ich bin mir fast sicher, ich kenne die Jungs. Wir warten eine Runde und da kommen sie wieder. Einer hält an, setzt den Helm ab und siehe da, es ist Roman. Roman vom Neumarkter Motorradclub. Sie haben sich eine Stunde gemietet hier, sagt er ganz kurz, verabschiedet sich und fährt weiter. Das hätte ich nie erwartet. Die Welt scheint kleiner zu sein im Moment.
Caio staunt, wen ich alles kenne. „Die sind aus Neumarkt. Vom Motoclub.“
„Neumarkt della Ora?“
„Ja! Ich kann mit ihnen leider selten eine Runde fahren, weil ich am Wochenende kaum frei habe. Aber ich kenne viele von ihnen.“
Joana und Uschi treiben uns etwas. Sie laufen dreißig Meter vorneweg. Am Auto angekommen, warten sie auf uns. Caio hat noch den Schlüssel.
Uschi fährt relativ gut in er Stadt. Die kennt sich aus. Caio gibt immer ein paar Kommentare. Mir scheint, er redet Uschi ständig rein. Uschi antwortet etwas zornig. Desto heftiger werden die Gesten Caios. Vor allem an den Kreuzungen.
„Der glaubt, ich kann nicht fahren. Dabei fahre ich hier jeden Tag“, sagt Uschi.
Wir kommen wieder die Monzaer Straße rein. Jetzt stehen hier hunderte, oft sogar halbnackte Frauen und Männer rum. „Hier können wir jetzt nicht anhalten“, sagt Uschi. „Wenn ich anhalte, kommen gleich die polnischen Nutten an und belagern das Auto.“
„Polnische Nutten?“, fragt Joana.
„Naja. Nicht nur polnische. Hier stehen Nutten aus Brasilien, Tschechei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Ukraine und dem Baltikum.“
„Das ist die kapitalistische Freiheit und Gleichberechtigung für Frauen.“
Uschi redet nicht weiter. Sie hat früher immerhin von diesem System geschwärmt. So lange sie selbst da nicht stehen muss, geht das ja.
Wir kommen zu Hause an. Unser Auto ist unbeschadet. In der Bar ist es so voll, dass nicht mal mehr Autos von Gästen, Parkplätze finden.
„Warum geht Ihr nicht in diese Bar? Ist die zu teuer?“
Caio antwortet. „Tutto fascio.“
Uschi ergänzt das. „Schau mal auf denen ihre Klamotten.“
Die sind tatsächlich alle schwarz gekleidet. Viele lassen die Autos laufen. Sie stehen in Dreierreihe. Ein Anwohner möchte raus. Er wartet. Er hupt. Keine Reaktion in der Bar. Er hupt nochmal. Wartet. Jetzt legt er den Rückwärtsgang ein. Zwanzig Meter weiter hinten hält es. Ich dachte, er wolle die Einbahnstraße abbiegen, auf der unser Auto steht. Irrtum. Er gibt Gas und rammelt mit einem Schwung durch die Autoreihe. Ich sehe einige Seitenspiegel weg fliegen. Jetzt kommen aus der Bar ein paar Leute aufgeregt nach Draußen. Sie gehen die Schäden beurteilen. Diskutieren. Das dauert etwa fünfzehn Minuten. Zwei fahren weg und der Rest geht in die Bar zurück. Es dauert nicht lange und ein paar Carabinieri kommen. Die nehmen den Schaden auf, fotografieren und verschwinden wieder.
Caio holt eine extrem teure Flasche Wein aus dem Schrank. Einen Barbero. Das ist mit das Teuerste in Italien. Joana verschwindet wieder ins Bad. „Ich trinke nicht so viel. Ich muss morgen fahren“, sag ich zu Caio. Er versteht mich. Wir schauen noch etwas Fußball und Skispringen. Caio hat einen Bezahlsender zu Hause. Damit kann er alle Zusammenfassungen sehen.