Fortsetzung Tag 66
Ich komme an. Eine Rezeptionistin empfängt mich. Die Rezeptionistin ist keine Südtirolerin. Eher, eingeheiratet. Blutmischung nennt sich das hierzulande. Südtirol präsentiert sich am Hotelempfang mit slowakischem Akzent. Ich muss leicht lächeln. Die Kinder der Arbeiter- und Bauerndiktaturen erobern still Europa. Ihre Eltern haben sie dafür gut vorbereitet.
Ich soll in die Küche gehen. Der Chef ist in der Küche. ‚Welch ein Glück‘, denk ich mir. ‚Der Chef ist ein Kochkollege‘. In dieser Küche steht nicht der Südtiroler Bevölkerungsdurchschnitt. Da stehen ausnahmslos Gastarbeiter. Zu der Zeit. Ich frage mich, ob das einheimische a la carte wirklich so gut genutzt wird, um so eine große Küchenmannschaft zu halten. Der Chef wirkt auf mich freundlich und zuvorkommend. Fast schon einschleimend. Er möchte, dass ich bei ihm eine Probearbeit annehme. Komisch. Die Probezeit ist eh vierzehn Tage. Ich frag ihn, wann es ihm recht ist. „In dieser Woche.“
Ich kann das noch nicht bestätigen und verspreche, es telefonisch oder per Email zu machen. Es ist eh Zeit bis ins Frühjahr. In der Anzeige war das leider nicht konkret aufgeführt. Dort stand sofort. Mich fragt Keiner, ob ich eventuell einen Kaffee trinken möchte oder überhaupt einen Durst habe. Zum Glück nehme ich mir auf solche Touren immer etwas zu Trinken mit; auch Kaffee. Durch den Termin bin ich mal nicht in Zeitnot geraten. Der war wirklich kurz. Ich kann also recht pünktlich weiter fahren.
Den Vertigen runter, so nennt sich der Berg zwischen Partschins und Algund, ist recht reger Verkehr. Ich darf wieder Platz machen für meinen Gegenverkehr. Kaum Einer, macht mir Platz. Der Vertigen ist ein äußerst sonnenreicher Berg. Vielleicht kommt die forsche Fahrweise von der vielen Sonneneinstrahlung. Ich vermute das. Jedenfalls kommt mir kein blasses Gesicht entgegen.
Der Nächste Termin wäre im Ultental. Wer dieses Tal halbwegs kennt, weiß, unter einer Stunde ist nicht mal die Anfahrt machbar. Bei der bis jetzt verbrauchten Zeit, wäre das mein letzter Termin. Den lass ich erst mal weg. In Bozen ist ein Termin vereinbart, der mir etwas dringender erscheint. Bei diesem Termin verspreche ich mir mehr. In solchen Situationen habe ich mich leider viel zu oft vergriffen. Wer die Personen hinter den Firmen nicht kennt wie die Einheimischen, wird leicht Opfer solcher Irrtümer.
Auf der MEBO, so nennt man hier die autobahnähnliche Straße zwischen Meran und Bozen, ist reichlich Verkehr. Auch, Zweiradverkehr. Ich ärgere mich darüber. Wäre ich zu Hause auf das Motorrad gestiegen, gäbe es sicher keine Verzögerungen bei den Vorstellungen. Zu viel Gas kann ich nicht geben auf der MEBO. Unter den Brücken an bestimmten Ausfahrten, finden unsere Verkehrspolizisten geeignete Standorte für ihre Stoppuhren. Das ist bei dem Zeitdruck unserer Arbeiter ein recht einkömmliches Geschäft. Immerhin muss ein Großteil unserer Arbeiter im geteilten Dienst, zwei Mal die MEBO benutzen. In ihrer Freizeit, natürlich. Hier im Westen ist der Arbeitsweg keine Arbeitszeit. Und wenn der Arbeitgeber ein Bett in der Besenkammer hat, ist sogar der Arbeitsweg noch kostenpflichtig.
In Bozen ist wie immer um diese Zeit, der Verkehr etwas ruhiger aber trotzdem ziemlich lebhaft. Unsere Stadtarbeiter demontieren den Weihnachtsschmuck. Das sorgt für lästige Staus, die hier scheinbar geduldig ertragen werden.
Mein Termin ist unter den Lauben. Vor meinem Fahrtantritt habe ich mir den Stadtplan auf das Handy kopiert. Eine erhöhte Gebühr für die Datenverbindung ist uns Proleten natürlich zu teuer. Unter die Lauben kann ich nicht fahren. Das ist Fußgängerzone. Irgendwie muss ich jetzt von Hinten in die Nähe meines Termins kommen. Und genau die Suche habe ich mir mit der Kopie erleichtert. Ich finde die Nebenstraße. Die Parkgebühr ist beachtlich. Zwei Euro für eine Stunde. Bei einem Zehn-Stunden-Arbeitstag sind das zwanzig Euro. Ja; und bei einem sechsundzwanzigtägigen Arbeitseinsatz pro Monat, ist gleich mal der halbe Lohn fällig. Ich hoffe auf einen Parkschein von meinem Arbeitgeber. Mit der Anfahrt von zu Hause und dem Fußweg zur Arbeit, bin ich bei geteilter Arbeit, immerhin drei Stunden pro Tag unterwegs.
Wenn keine Unfälle oder Staus das verhindern.
Mein Arbeitgeber ist eine Sprachschule. Tagsüber. Abends soll dort eine Pizzeria aufgebaut werden. Naja. Pizza backen ist jetzt keine Routine in meinem Beruf. Aber das kann ja noch werden. Hauptsache ein Ganzjahresjob. Das hat Vorrang vor allen anderen Angeboten. Es muss eben nur erträglich sein.
Mein Arbeitgeber ist ein Italiener. Ein Walscher, wie man hier bisweilen sagt. Ich weiß nicht, ob das abwertend gemeint ist. In den meisten Fällen wird es in einem liebevollen oder freundschaftlichen Zusammenhang gebraucht. Wenn wir über die Westbesatzer reden, fallen selten liebevolle Worte für die Verbrecher. In einem sozialistischen Italien müssten wir darüber nicht reden. Ein Walscher wäre sicher so stolz wie ein Südtiroler auf seine Herkunft. In sozialistischen Ländern wird Regionalität besonders gefördert. Mir fallen umgehend die Sorben der DDR ein.
Tagsüber benötigt mein Gesprächspartner eine Art Werksessen für seine Schüler. Die möchten eine andere Sprache lernen als sie eh schon können. Ich würde zu gern etwas Italienisch dazu lernen. Schließlich treffe ich auf meinen Motorradtouren, reichlich Landsleute. Und genau mit denen, möchte ich hin und wieder, ein freundliches Wörtchen wechseln. Ich verspreche mir also Etwas von dem Engagement. Mein Gesprächspartner ist ein freundlicher Typ, der auch ein oder zwei Fitnesscenter betreibt.
Er zeigt mir die Küche. Die ist gut eingerichtet. In der Ecke steht ein Pizzaofen.
„Der ist für abends“, meint er. Ob ich das auch könne. Ich bejahe das mit der Einschränkung, ich hätte das lange nicht getan bis auf ein paar Vorspeisen in den Hotels im Rahmen der Menüs. Er zeigt sich erfreut und stellt sich mit Mario vor.
Das freut mich und ich werde zunehmens lockerer.
Ich sage ihm meinen Name und schon sind wir beim Du.
Der Arbeitsbeginn wäre in einem Monat. Ein arabischer Kollege muss wieder nach Hause. Er heiratet. Mario gibt mir seine Telefonnummer und er ruft an. Wir trinken zusammen einen Macchiato, schwätzen noch über die Parkkarte und die Parkmöglichkeiten und schon muss er weg.
In mir keimt Hoffnung auf. Er hat mir einen wirklich feinen Lohn angeboten. In einer Jahresstelle, dieser Lohn, macht mich etwas euphorisch.
Mittlerweile ist es gegen Dreizehn Uhr. Der große Mittagspausenverkehr setzt ein. Das gibt Stau. Bis nach Hause brauche ich weit über eine Stunde. Normal könnte ich dann schon wieder auf Arbeit fahren. Mit dem Auto wird das so, nichts. Mit dem Motorrad ginge das problemlos. Auch beim Parken.
Ich schaue kurz zu Hause vorbei. Paula grüßt von ihrem Balkon. Antonia schiebt die Gardine beiseite und winkt.
„Ich muss gleich wieder weg“, rufe ich zu Paula.
„Ist Joana immer noch Oben?“
„Da fahr ich jetzt hin.“
„Hast Du Arbeit gefunden?“
Woher weiß Paula, dass ich Arbeit suche? Der ländliche Buschfunk ist voll am Wirken.
„Mal sehen. Vielleicht klappt es.“
Jetzt wird es Zeit, nach Nauders aufzubrechen.
Der Verkehr ist jetzt erträglich. Selbst der Lastverkehr scheint verschwunden. Bis nach Schlanders komme ich gut voran. Ich schaue nicht noch mal bei meinen Bewerbungen vorbei. Obwohl mich das Mittagsgeschäft schon interessiert hätte. Dafür ist es aber zu spät.
An den Laaser Apfelplantagen ist reger Verkehr. Das ist die Stelle mit den Eismuren an den Plantageneinfahrten. Die Straße ist frei aber nicht ganz trocken. Der einheimische Verkehr läuft recht zügig. Nach Schluderns sehe ich auch wieder Lastverkehr. Der bewegt sich in Richtung Reschen. Kurz nach Mals, biegt aber der Großteil ab. Zum Glück. Ich brauche bis zu Alfred, keine zwanzig Minuten.
Dursun steht vor der Tür und schaut mich fragend an.
„Ich bekomme erst heute Abend die ersten Nachrichten.“
„Das‘s gut.“
Joana ist schon fertig und ziemlich neugierig. Wir reden über die Bewerbungen und sie warnt mich wieder vor zu viel Euphorie.
Nach der Tour bin ich müde. Ich schaue nicht auf Nachrichten und Meldungen. Nach langer Zeit nehme ich mal wieder ein Dusche. Das tut wirklich gut jetzt. Joana hilft mir etwas beim Rücken waschen. Wir gehen schlafen.
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