Tag 66 Fortsetzung


Fortsetzung Tag 66

Ich komme an. Eine Rezeptionistin empfängt mich. Die Rezeptionistin ist keine Südtirolerin. Eher, eingeheiratet. Blutmischung nennt sich das hierzulande. Südtirol präsentiert sich am Hotelempfang mit slowakischem Akzent. Ich muss leicht lächeln. Die Kinder der Arbeiter- und Bauerndiktaturen erobern still Europa. Ihre Eltern haben sie dafür gut vorbereitet.

Ich soll in die Küche gehen. Der Chef ist in der Küche. ‚Welch ein Glück‘, denk ich mir. ‚Der Chef ist ein Kochkollege‘. In dieser Küche steht nicht der Südtiroler Bevölkerungsdurchschnitt. Da stehen ausnahmslos Gastarbeiter. Zu der Zeit. Ich frage mich, ob das einheimische a la carte wirklich so gut genutzt wird, um so eine große Küchenmannschaft zu halten. Der Chef wirkt auf mich freundlich und zuvorkommend. Fast schon einschleimend. Er möchte, dass ich bei ihm eine Probearbeit annehme. Komisch. Die Probezeit ist eh vierzehn Tage. Ich frag ihn, wann es ihm recht ist. „In dieser Woche.“

Ich kann das noch nicht bestätigen und verspreche, es telefonisch oder per Email zu machen. Es ist eh Zeit bis ins Frühjahr. In der Anzeige war das leider nicht konkret aufgeführt. Dort stand sofort. Mich fragt Keiner, ob ich eventuell einen Kaffee trinken möchte oder überhaupt einen Durst habe. Zum Glück nehme ich mir auf solche Touren immer etwas zu Trinken mit; auch Kaffee. Durch den Termin bin ich mal nicht in Zeitnot geraten. Der war wirklich kurz. Ich kann also recht pünktlich weiter fahren.

Den Vertigen runter, so nennt sich der Berg zwischen Partschins und Algund, ist recht reger Verkehr. Ich darf wieder Platz machen für meinen Gegenverkehr. Kaum Einer, macht mir Platz. Der Vertigen ist ein äußerst sonnenreicher Berg. Vielleicht kommt die forsche Fahrweise von der vielen Sonneneinstrahlung. Ich vermute das. Jedenfalls kommt mir kein blasses Gesicht entgegen.

Der Nächste Termin wäre im Ultental. Wer dieses Tal halbwegs kennt, weiß, unter einer Stunde ist nicht mal die Anfahrt machbar. Bei der bis jetzt verbrauchten Zeit, wäre das mein letzter Termin. Den lass ich erst mal weg. In Bozen ist ein Termin vereinbart, der mir etwas dringender erscheint. Bei diesem Termin verspreche ich mir mehr. In solchen Situationen habe ich mich leider viel zu oft vergriffen. Wer die Personen hinter den Firmen nicht kennt wie die Einheimischen, wird leicht Opfer solcher Irrtümer.

Auf der MEBO, so nennt man hier die autobahnähnliche Straße zwischen Meran und Bozen, ist reichlich Verkehr. Auch, Zweiradverkehr. Ich ärgere mich darüber. Wäre ich zu Hause auf das Motorrad gestiegen, gäbe es sicher keine Verzögerungen bei den Vorstellungen. Zu viel Gas kann ich nicht geben auf der MEBO. Unter den Brücken an bestimmten Ausfahrten, finden unsere Verkehrspolizisten geeignete Standorte für ihre Stoppuhren. Das ist bei dem Zeitdruck unserer Arbeiter ein recht einkömmliches Geschäft. Immerhin muss ein Großteil unserer Arbeiter im geteilten Dienst, zwei Mal die MEBO benutzen. In ihrer Freizeit, natürlich. Hier im Westen ist der Arbeitsweg keine Arbeitszeit. Und wenn der Arbeitgeber ein Bett in der Besenkammer hat, ist sogar der Arbeitsweg noch kostenpflichtig.

In Bozen ist wie immer um diese Zeit, der Verkehr etwas ruhiger aber trotzdem ziemlich lebhaft. Unsere Stadtarbeiter demontieren den Weihnachtsschmuck. Das sorgt für lästige Staus, die hier scheinbar geduldig ertragen werden.

Mein Termin ist unter den Lauben. Vor meinem Fahrtantritt habe ich mir den Stadtplan auf das Handy kopiert. Eine erhöhte Gebühr für die Datenverbindung ist uns Proleten natürlich zu teuer. Unter die Lauben kann ich nicht fahren. Das ist Fußgängerzone. Irgendwie muss ich jetzt von Hinten in die Nähe meines Termins kommen. Und genau die Suche habe ich mir mit der Kopie erleichtert. Ich finde die Nebenstraße. Die Parkgebühr ist beachtlich. Zwei Euro für eine Stunde. Bei einem Zehn-Stunden-Arbeitstag sind das zwanzig Euro. Ja; und bei einem sechsundzwanzigtägigen Arbeitseinsatz pro Monat, ist gleich mal der halbe Lohn fällig. Ich hoffe auf einen Parkschein von meinem Arbeitgeber. Mit der Anfahrt von zu Hause und dem Fußweg zur Arbeit, bin ich bei geteilter Arbeit, immerhin drei Stunden pro Tag unterwegs.

Wenn keine Unfälle oder Staus das verhindern.

Mein Arbeitgeber ist eine Sprachschule. Tagsüber. Abends soll dort eine Pizzeria aufgebaut werden. Naja. Pizza backen ist jetzt keine Routine in meinem Beruf. Aber das kann ja noch werden. Hauptsache ein Ganzjahresjob. Das hat Vorrang vor allen anderen Angeboten. Es muss eben nur erträglich sein.

Mein Arbeitgeber ist ein Italiener. Ein Walscher, wie man hier bisweilen sagt. Ich weiß nicht, ob das abwertend gemeint ist. In den meisten Fällen wird es in einem liebevollen oder freundschaftlichen Zusammenhang gebraucht. Wenn wir über die Westbesatzer reden, fallen selten liebevolle Worte für die Verbrecher. In einem sozialistischen Italien müssten wir darüber nicht reden. Ein Walscher wäre sicher so stolz wie ein Südtiroler auf seine Herkunft. In sozialistischen Ländern wird Regionalität besonders gefördert. Mir fallen umgehend die Sorben der DDR ein.

Tagsüber benötigt mein Gesprächspartner eine Art Werksessen für seine Schüler. Die möchten eine andere Sprache lernen als sie eh schon können. Ich würde zu gern etwas Italienisch dazu lernen. Schließlich treffe ich auf meinen Motorradtouren, reichlich Landsleute. Und genau mit denen, möchte ich hin und wieder, ein freundliches Wörtchen wechseln. Ich verspreche mir also Etwas von dem Engagement. Mein Gesprächspartner ist ein freundlicher Typ, der auch ein oder zwei Fitnesscenter betreibt.

Er zeigt mir die Küche. Die ist gut eingerichtet. In der Ecke steht ein Pizzaofen.

„Der ist für abends“, meint er. Ob ich das auch könne. Ich bejahe das mit der Einschränkung, ich hätte das lange nicht getan bis auf ein paar Vorspeisen in den Hotels im Rahmen der Menüs. Er zeigt sich erfreut und stellt sich mit Mario vor.

Das freut mich und ich werde zunehmens lockerer.

Ich sage ihm meinen Name und schon sind wir beim Du.

Der Arbeitsbeginn wäre in einem Monat. Ein arabischer Kollege muss wieder nach Hause. Er heiratet. Mario gibt mir seine Telefonnummer und er ruft an. Wir trinken zusammen einen Macchiato, schwätzen noch über die Parkkarte und die Parkmöglichkeiten und schon muss er weg.

In mir keimt Hoffnung auf. Er hat mir einen wirklich feinen Lohn angeboten. In einer Jahresstelle, dieser Lohn, macht mich etwas euphorisch.

Mittlerweile ist es gegen Dreizehn Uhr. Der große Mittagspausenverkehr setzt ein. Das gibt Stau. Bis nach Hause brauche ich weit über eine Stunde. Normal könnte ich dann schon wieder auf Arbeit fahren. Mit dem Auto wird das so, nichts. Mit dem Motorrad ginge das problemlos. Auch beim Parken.

Ich schaue kurz zu Hause vorbei. Paula grüßt von ihrem Balkon. Antonia schiebt die Gardine beiseite und winkt.

„Ich muss gleich wieder weg“, rufe ich zu Paula.

„Ist Joana immer noch Oben?“

„Da fahr ich jetzt hin.“

„Hast Du Arbeit gefunden?“

Woher weiß Paula, dass ich Arbeit suche? Der ländliche Buschfunk ist voll am Wirken.

„Mal sehen. Vielleicht klappt es.“

Jetzt wird es Zeit, nach Nauders aufzubrechen.

Der Verkehr ist jetzt erträglich. Selbst der Lastverkehr scheint verschwunden. Bis nach Schlanders komme ich gut voran. Ich schaue nicht noch mal bei meinen Bewerbungen vorbei. Obwohl mich das Mittagsgeschäft schon interessiert hätte. Dafür ist es aber zu spät.

An den Laaser Apfelplantagen ist reger Verkehr. Das ist die Stelle mit den Eismuren an den Plantageneinfahrten. Die Straße ist frei aber nicht ganz trocken. Der einheimische Verkehr läuft recht zügig. Nach Schluderns sehe ich auch wieder Lastverkehr. Der bewegt sich in Richtung Reschen. Kurz nach Mals, biegt aber der Großteil ab. Zum Glück. Ich brauche bis zu Alfred, keine zwanzig Minuten.

Dursun steht vor der Tür und schaut mich fragend an.

„Ich bekomme erst heute Abend die ersten Nachrichten.“

„Das‘s gut.“

Joana ist schon fertig und ziemlich neugierig. Wir reden über die Bewerbungen und sie warnt mich wieder vor zu viel Euphorie.

Nach der Tour bin ich müde. Ich schaue nicht auf Nachrichten und Meldungen. Nach langer Zeit nehme ich mal wieder ein Dusche. Das tut wirklich gut jetzt. Joana hilft mir etwas beim Rücken waschen. Wir gehen schlafen.

Jus


Jus

Jus ist die französische Bezeichnung für Bratensaft.

Früher hat der Koch, Knochen, Fleischabschnitte, Wurzelgemüse zusammen angebraten oder im Backofen, angeröstet. Mitunter wurde etwas Tomatenpaste, Senf, Rotwein und andere Geschmacksträger zugefügt. Den Ansatz hat der Koch dann stunden- , mitunter tagelang köcheln lassen, um einen optimalen bis maximalen Geschmack zu bekommen. Als idealer Bestandteil wurden Fleisch und Knochenteile vom Kalb angesagt, weil dieses Fleisch relativ geschmacksneutral wirkt. Heute ist man etwas weiter und verwendet für den Jus das jeweilige Fleisch der namensgebenden Sauce. Der Nachteil ist, dass sich damit die Lagerfläche erhöht und die Übersichtlichkeit in der Küche etwas leidet.

Der Weg ist einfach und nachvollziehbar; auch zu Hause. Der Koch stellt sich eine Juspaste her. Die muss wesentlich kürzer kochen und kann sogar speziell abgeschmeckt werden.

Für die Herstellung einer Juspaste verwendet der Koch idealerweise einen Kutter mit dreitausend Umdrehungen oder mehr. Die Geräte gibt es auch für den Hausgebrauch. Ich würde jedoch immer ein metallisches Gerät vorziehen. Geräte aus Plastik haben den Nachteil, dass sie während der Verarbeitung, winzige Plastikteile in die Speise abgeben. Salz und Zucker, zum Beispiel, sind härter als Plastik und werden beim Kuttern unvermeidbar, Plastik abschaben. Kein Mensch bekommt das wieder aus dem Essen. Aus genau dem Grund, sollten wir wirklich nur Metallteile zum Kuttern verwenden. Das gilt übrigens auch für Mixstäbe und Blender. Bei Blendern empfiehlt sich zu dem, Glas.

Die Trübung von reibenden Plastikteilen verrät Ihnen, dass sie Plastik mit essen.

Bei der Verarbeitung von Jus können Sie sämtliche gründlich gewaschene Pflanzenteile nutzen; auch Zwiebelschalen. Zwiebelschalen gelten als färbend. Man hat mit Zwiebelschalen die Ostereier braun gefärbt und nicht nur die.

Die Kuttermesser müssen regelmäßig geschärft werden. Dafür gibt es heute sehr feine Schleifmaschinen und Miniwerkzeuge. Schleifsteine sind zur Nachbearbeitung auch gut geeignet. Es müssen keine unbezahlbaren Liebhaberschleifsteine sein.

Wir geben also in den Kutter Fleischabschnitte der jeweiligen Jus, gereinigte Wurzelgemüse samt Schale, Salz (etwa 10-20%), Pfeffer, etwas Zucker (für das Coleur), bei Bedarf Öl (bei magerem Fleisch z.b.) und kuttern das, bis es pastös ist.

Diese Paste streichen wir auf ein Backblech und rösten das im Grill oder im Backofen. Die Paste muss gelegentlich umgestochen werden, sprich, gewendet. Bei einer anständigen Bratfarbe ist die Jus fertig. Man kann sie bei Raumtemperatur im Glas lagern. Bei Braten oder Kurzgebratenem, wird diese Juspaste dem Bratensatz zugegeben, aufgegossen und letztendlich gebunden. Und schon ist die Sauce fertig.

Auf Grund des Salzgehaltes der Juspaste, muss der Koch dem Bratensatz oder Bratgut, nicht extra Salz zugeben. Die Paste reicht.

Fortsetzung Tag 66


Tag 66-Fortsetzung

„Du kannst mal einen Tag zur Probe bei mir arbeiten. Wann geht es Dir?“

„Ich habe im Moment keine Arbeit. Also morgen ist es auch schon möglich.“

„Ich rufe heute Abend noch an.“

„Also. Bis dann!“

Beim Herausgehen treffe ich die Chefin. Ein freundlicher Blick sieht anders aus. Sie grüßt nicht.

Der kommende Termin ist etwas weiter weg. Um nicht zu sagen, erheblich weiter. Und das am Montag. Ich muss ins Schnalstal. Und das, ziemlich weit hinauf. Ich muss in unsere Frau Madonna. Ein Ortsname. Dort könnte ich ja eigentlich Barmherzigkeit erwarten.

Ab Schlanders geht es ziemlich zivilisiert zu. Der Schwerverkehr wird wie üblich, geduldig ertragen. Mich nervt es etwas wegen dem Zeitdruck. Wenn ich noch an meine Kilometer denke, wird mir etwas bange.

Kurz vor Naturns ist eine Abfahrt ins Schnalstal. Das Schnalstal ist ein Nord-Süd-Tal und teilweise ziemlich schmal. Entsprechend schmal sind die Straßen, die von ziemlich hohen Berge gesäumt sind. Steinschläge und Lawinen gehören dort fast zur Tagesordnung. Ich muss durch Tunnel ind Viadukte fahren, um mal wieder ein Licht zu sehen.

Nach dem dritten Tunnel steht eine Sperrscheibe vor mir. Weiterfahrt gibt es keine. Mit mir müssen drei Autos von Leuten, die hinauf wollten, umkehren. Allein das Manöver beim Anblick der Schlucht auf der linken Seite bergaufwärts, macht etwas nervös. Zwei meiner Vorgänger, die nicht von hier zu sein scheinen, sind nervöser als ich. Sie steigen aus und in ihrem Gesicht ist deutlich Furcht zu erkennen. Die Straße ist auch nicht ganz schneefrei. Da zu wenden, erfordert schon etwas Mut. Die Landsleute aus dem Süden entscheiden sich, Schneeketten zu montieren. Ich nutze die Zeit, um ungestört zu wenden. Das Vorhaben ist nicht Ohne. Am Felsen und auf der Straße gefriert das Wasser, das weiter Oben in der Sonne taut. Das gibt hässliche Eisschollen auf der Straße und Abstürze von riesengroßen Eiszapfen. Ich bin mir sicher, diese Eiszapfen schlagen auch locker durch Autodächer. Also, nichts wie weg hier.

Auf der Abfahrt kommt mir kein Auto entgegen. Wahrscheinlich hat der Straßendienst schon unten gesperrt. Als ich ankam, waren Carabinieri da.

„Wie viele noch oben?“

„Es sind noch drei Autos oben.“

„Fahre Sie!“, ruft er mir freundlich zu und winkt mit seiner Kelle. Er gibt mir gerade Vorfahrt auf der Hauptstraße. Entschuldigen werde ich mich nicht müssen bei dem Gastwirt. Der hat sicher von der Straßensperre erfahren.

Das nächste Ziel ist nicht weit weg von unserem zu Hause. Im Vertigen. Da wohnt man zehn Jahre an einem Ort und kennt nicht mal die nähere Umgebung. Das kann nur ein Witz sein. Der Witz nennt sich Arbeit von Früh bis in die Nacht. Im Finsteren weg von zu Hause und im Finsteren zurück. Das war‘s. Von Leben kann da keine Rede sein. Selbst Sklaven waren da besser dran.

Ich eiere die teilweise schmalen Straßen in Richtung Tschigat-Rötl und muss sehr häufig am Straßenrand anhalten, um den Gegenverkehr, Platz zu lassen. Da übliche Heimatgefühl stellt sich wieder ein. Ich werde etwas lockerer.

Fortsetzung folgt

Tag 66


Tag 66

Wir stehen zusammen auf. Während Joana im Bad ist, mache ich den Kaffee. Wir müssen neuen kaufen. Der ist jetzt finito. Ich muss Kaffee mitbringen. Joana fragt mich aus wegen der Vorstellung und wie sie verlaufen ist. Eher, wegen der Bestätigung unserer Vorurteile als wegen dem Bericht. Abends haben wir das nicht mehr besprochen. Wir schauen noch mal schnell in den Computer, die Emails kontrollieren. Zwei sind dazu gekommen. Die sind auch für den Saisonanfang im März. Zuerst werde ich mich auf die konzentrieren, die sofort einen Koch suchen.

Bevor ich fahre, gehe ich bei Marlies und Alfred vorbei. Marco ist auch schon da und Dursun ist am Trinken von Türkischem Kaffee. „Willst Du auch mal Einen? Guten Morgen!“

„Laß mich den probieren. Vielleicht schmeckt er hier besser als der Gefilterte.“

„Ganz sicher. Probiere!“

Er hat Recht. Wenn die Zeit reicht, werde ich zukünftig diesen Kaffee bestellen.

„Heute geht‘s nach Hause, in den Vinschgau“, sagt Dursun.

„Ja. Ich habe Vorstellungen. Es geht bis nach Bozen.“

„Am Montag“, antwortet Marco.

Er hat Recht. Ich hoffe auf etwas weniger Verkehr. Obwohl meine Fahrtzeit beschissen gewählt ist. Zu Mittag wäre es eigentlich am besten. Aber, die vielen Vorstellungen schaffe ich nicht ab Mittag.

Ich müsste dafür mehrere Tage ausmachen. Und das geht wiederum nicht. Leider sind dann die Stellen weg. Wer zuerst kommt, malt zuerst. Und genau das zählt leider in diesem Geschäft. Schon sind wir bei dem Thema Unfallgefahr. Die ist freitags und montags besonders hoch.

Joana verabschiedet mich. Auch die Kollegen wünschen mir viel Glück. Wie üblich, kommt das vorsichtig Fahren als Auflage.

Das Wetter ist günstig und von den Temperaturen her, schon fast frühlingshaft. Und das in der Höhe. Weiter Unten wird das sicher erheblich besser. Schon am Grenzübergang bereue ich den Montagstrip. An der Abfertigung stehen in zwei Richtungen Lastwagenschlangen. Die Schmuggler werden gefilzt. Aber gehörig, wie ich sehe. Ein paar westdeutsche Campingautos sind auch dabei. Man möchte sicher in den Süden. An den Autos kleben wieder ein halbes dutzend Fahrräder und Scooter. Innen sind sicher noch Gummiboote und der ganze Kram. Einer hat Hinten sogar einen Kleinwagen drauf stehen. Das verprotzte Volk glaubt, sie fahren auf eine Messe. Mich würde nicht wundern, wenn der ganze Kasten noch voller Konserven liegt. Der Streit mit diesem Volk ist praktisch vorprogrammiert. Die beugen jede Verkehrsregel wegen dem Zollgesetz und tun so, als wüssten sie nichts. Eigentlich müsste Italien an jede Grenze Verkehrspolizei schicken, wie sie es sehr oft am Brennerübergang tun. Leider wird das im Vinschgau etwas vernachlässigt. Alles, was mitgeführt wird, ist zollfrei und bedarf keiner Zollerklärung. Dafür werden die Kästen hoffnungslos überladen und zu vorprogrammierten Verkehrsunfällen. Wir dürfen als nicht mehr von Fahrlässigkeit ausgehen, sondern von reinem Vorsatz. Wer einmal einen Unfall mit so einem deutschen Trottel hatte, weiß, wovon ich spreche. Die sind natürlich an Garnichts schuld. Und da nehmen die sich mit Südtirolern und Trentinern nicht viel. Bei einem Tausend-Euro-Schaden wird gern mal vier viertausend Euro gestritten. Dummheit regiert.

Den Malser Berg runter, geht die Qual weiter. Man ist vom Panorama beeindruckt und neigt dazu, dafür eine echte Schlangenlinie zu fahren. Manche wechseln im Traum auch die Straßenseite und müssen mit einem Hupkonzert geweckt werden.

An der zweiten Kurve gibt es sogar einen kleinen Auffahrkuss. Ein Campingauto steckt mit der Schnauze in einem Fahrradangebot. Ich muss laut lachen bei dem Anblick. Oh, der winkt mich an. Ich soll dem wahrscheinlich helfen. Ich lass die Scheibe runter. Er fragt mich, wo die nächste Werkstatt ist. Bei so viel Blödheit, bleibt mir fast die Sprache weg. Werkstätten auf meinem Urlaubsweg suche ich mir im Voraus. Wozu hat dieses verblödete Volk einen Computer als Handy? Die haben Karten, auf denen jede Werkstatt eingetragen ist, online. Mit Telefonnummer. Und dieser Trottel fragt mich. Dazu kann der sich alle Telefonnummern vorher abspeichern. Es gibt in den Bergen auch Funklöcher. Der hat den Massenspeicher in der Hosentasche. Der ist nicht nur für Pornos und misslungene Fotos. Das ist auch ein Hilfsmittel.

Mit den Lastwagen, ist bei dem Verkehr das Lückenspringen aus Zeitgründen schon etwas riskant. Vor allem, weil es auch glatte Stellen gibt. Bisweilen sind das kleine, recht lockere Überwehungen, die einen Zentimeter hoch sind. Deren Glätte kann tödlich sein oder zumindest in den Rollstuhl führen. Dort gibt es regelmäßig Unfälle von Leuten, die ihren Winterreifen und Fahrkönnen, Wunder zumuten. Unser Nachbar ist beim Weißen Kreuz, Fahrer. Er darf sich regelmäßig abgerissene Beine und Arme anschauen. Der Appetit auf Pizza ist ihm deswegen noch nicht vergangen. Bei den Opfern ist das anders. Die essen Pizza nur gewürfelt.

In Mals vor der Ampel, steht eine Schlange. Erst mit der dritten Grünwelle komme ich über die Kreuzung. Das wird lustig. In Mals habe ich keine Vorstellungsgespräche. Von da kamen nur Absagen. Mein erster Termin ist in Schlanders. Ein Restaurant am Marktplatz.

Schlanders hat einen sehr schönen Marktplatz. Eine Augenweite. Die Farbenpracht erinnert mich etwas an Rostocker und Stralsunder Einkaufspassagen zu DDR – Zeiten. Auch an den Karl-Marx-Städter Brühl und die Dresdner Uferpromenade. Deren farbige Fassaden wurden in Zwickau hergestellt. Das war ein DDR – Patent. Im Westen versucht man das höchstens mit dem Farbtopf. Sozusagen, Dreck auf Dreck. Hautsache bunt. Der Geruch spielt keine Rolle in den Kreisen. Wir hatten uns am Rheinufer mal ein Hotel angeschaut. Die Wirtsleute wollten das verpachten. An DDR-Bürger. Landsleute hätten das wahrscheinlich nicht getan. Ich wunderte mich darüber, wie man dort dreckige Höhlen vermietet.

„Wir sind gut belegt“, sagte der Altwirt. Und damit sagte er uns Alles. Und die Leute reden über DDR-Altbauten.

Im Restaurant ist schon reichlich Betrieb an der Theke. Man trinkt Kaffee gespritzt, Viertel und Bier. Früh am Morgen. Verdauungsprobleme haben die sicher nicht. Die junge Frau am Tresen frage ich, ob den jemand von der Chefität da ist.

„Wer?“

„Ich suche einen Chef. Ich bin Koch.“

„Bewerbung?“

„Ja!“

Sie rennt in die Küche und ruft etwas. Es dröhnt fast wie eine Sirene.

Eine Chefin kommt. ‚Gute Nacht‘, denk ich mir. ‚Das wird ein kurzes Gespräch.‘ Bei der Vorstellung bemerkt sie meinen sächsischen Dialekt.

„Können Sie Südtiroler Küche kochen?“

„Nein. Aber Sie können mir das sicher lernen, wenn ich etwas falsch mache.“

„Wir haben hier einen gut besuchten Mittagstisch.“

„Touristen oder einheimisch?“

„Im Sommer, beides.“

Bei dem Betrieb am Tresen um diese Zeit, könnte sie Recht haben.

„Wie viele Portionen sind es dann zu Mittag?“

Die Antwort dauert wieder zu lange. Das nennt sich Südtiroler Überblick. Man weiß auf die Portion genau, was man verkauft.

„So zwischen fünfzig und hundert Essen.“

‚Gemütlich‘, denke ich. Und ich sage das auch.

Das war der Kollegin dann schon zu dick aufgetragen. Zumindest, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen.

„Kann ich mal die Küche sehen?“

„Ja. Kommen Sie.“

Die Küche war relativ gut eingerichtet. Der Anrichteplatz war etwas klein. Aber, allein, braucht der Koch nicht zu viel. Entscheidend ist, ob gut abgetragen wird. Über der Anrichte hingen zwei Wärmelampen. Damit soll das Essen nicht abkühlen. Der Salat wird aber auch warm damit. Naja; zu kalt, schmeckt auch Salat nicht. Das geht.

Der einzige große Nachteil war die Entfernung von der Bratplatte zur Anrichte. Die Fritteuse war auch zu weit weg. Ich muss praktisch Alles mit der Schüssel vor transportieren. Das gibt Feuer im Schritt. Eine Bagno Maria fehlt. Ich frage, ob so Etwas da ist. „Das haben wir. Der letzte Koch hat das nicht gebraucht.“

„Deswegen ist er ja auch noch da, oder? Muss ich das machen wie der letzte Koch?“

„Nein. Das will ich nicht gesagt haben.“

Und schon habe ich den Zorn bekommen.

„Wir melden uns bei Ihnen. Ihre Telefonnummer haben wir ja.“

Weit muss ich nicht gehen. In Schlanders habe ich auch gleich den Folgetermin. Ein neues Hotel-Restaurant. Direkt an der Hauptstraße. Der Parkplatz ist jetzt schon gerammelt voll. Wer das gebaut hat, hat sich sicher übernommen. Wenn da keine große Familie da ist, sieht es schlecht aus. Der Betrieb muss von früh bis spät in die Nacht, voll laufen. Auch das ist zu teuer. Es braucht zu viel Personal. Auch bei den Arbeitszeiten, die in Südtirol üblich sind. Ich weiß nicht, wer das rechnet. Die Zahlen möchte ich nicht sehen.

Ich gehe hinein. Zwei junge Frauen stehen am Tresen und bedienen die zahlreichen Kunden davor. An den Tresen komme ich nur schwer ran. Die Leute davor wollen gebeten werden. Erst dann rücken sie mit einem Lächeln beiseite.

„Ostdeutscher?“

Die Frage höre ich zu oft. Es ist nicht böß gemeint. Eher freundlich und fast schon gastgeberisch, einladend.

„DDR!“

Die Jungs lachen. ‚Ein Stolzer‘, werden sie sich denken. Ich weiß es nicht. So scheint es mir.

In Südtirol stolz auf seine Heimat zu sein, ist schon mal kein Fehler. Es gibt Vinschger Brot, Ultner Brot mit dem gleichen Geschmack und Marteller Erdbeeren. Aber Alle trinken Algunder oder Mila Milch aus den Tälern ohne Namen. Erstaunlich.

Ein Mädchen hat den Chef gerufen. Er lädt mich gleich in die Küche ein. Eine kleine aber praktische Küche. Gut eingerichtet mit wenig Wegeaufwand. Hier hat ein Fachmann eingerichtet. Der Chef ist der Fachmann. Um diese Zeit steht der schon allein in seiner Küche. Alle Achtung.

„Woher kommst Du?“

„Aus Partschins:“

„Ne. Ich eine richtig.“

„Naja. Aus Rabland.“

„Du bist doch Ostdeutscher.“

„Vertriebener Ostdeutscher.“

„Kannst Du Südtiroler Küche?“

„Ich koche hier schon paar Jahre.“

„Wir haben hier zu Mittag um die zweihundert Arbeiteressen und reichlich a la carte.“

„Ich brauche viel Arbeit.“

„Abends mache ich Pizza und Ihr seid zu Zweit hier in der Küche. Einundzwanzig Uhr ist Euer Feierabend.“

„Was? Der Chef ist Früh der Erste und macht abends bis Zwölf, Pizza?“ Und das bei einem Ruhetag. Na. Der ist zu fleißig für Südtirol. Das geht nicht lange gut.

Fortsetzung folgt

Hinweis


Hinweis

Liebe Leser, Freunde und Unterstützer,

in dieser und in der kommenden Woche werden wir uns im Unterthema Sauce, mit der Herstellung von Saucen, der Bindung und Konservierung befassen. Besonderes Augenmerk legen wir auf die energiearme Herstellung von Saucen und auf die energiearme Konservierung.

Wir werden die einzelnen Grundsaucen behandeln als auch die Mischungen und modernen Ableitungen davon. Dazu kommen neue Arten von Saucen und Schäumen.

Die Entschuldigung, zu einer Mahlzeit wegen der Kalorien keine Sauce zu essen, werden Sie danach nicht mehr gebrauchen müssen.

Am Wochenende wird im Nachrichtenportal:

https://www.salto.bz/de

aus Südtirol, ein kleines Interview mit mir veröffentlicht.

Salto ist ein genossenschaftliches, freies Nachrichtenportal aus Südtirol. Siehe Impressum.

Der Saisonkoch

Tag 65


Tag 65

Joana lässt mich wieder von allein aufwecken. Ohne Wecker. Wir haben nur einen Vorstellungstermin am Vormittag ausgemacht. Ich sehe keinen Zwang, da unbedingt um Acht anzureisen.

Zuerst gehe ich runter zu Marlies. Marlies lässt mir schon den Kaffee raus, ohne dass ich fragen musste. Sie schaut mich fragend an. Ich soll ihr bestimmt erzählen, wie es weiter geht mit meiner Arbeit. Also erzähle ich ihr es.

Den Betrieb, bei dem ich ich heute vorstelle, kennt sie. Persönlich. Das ist schon mal eine gewaltige Hilfe. Ich kann sie ausfragen. Sie gibt mir brauchbare Informationen. Vor allem über die Betriebsführung. Ich erwarte also nichts in meinem Spektrum. Grundsätzlich meide ich Schicki-Micki. In meinen Augen ist das Aufschneiden mit Dingen, die man nicht hat aber vorgibt, zu haben. In der Gastronomie ist das eine Methode, mit übertriebener Garnitur zu versuchen, billigen oder künstlich überteuerten, Importierten Kram an den Mann zu bringen. In meinen Augen ist das keine Küche. Wo man versucht, ein Essen wie eine leblose Skulptur anzurichten, achtet man den Rohstoff und seinen besonderen Charakter nicht.

Ich bin ein Anhänger der natürlichen Darstellung eines Lebensmittels. Also, das ganze Gegenteil von den Schnitzereien und Formen.

Ich verabschiede mich von Marlies. Sie wünscht mir Glück. Ich frage mich warum.

Die Anfahrt nach Burgeis in den Ort ist schon ein kleines Abenteuer. Wegen dem Gegenverkehr und der sehr schmalen Straße. Ich bereue, nicht den leichteren Weg genommen zu haben. Ich komme an einem sehr schönen Kloster vorbei. Das Marienberg war ein Männerkloster. Irgendwie muss ich bei dem Gedanken daran lachen. Ein Männerhaus in Südtirol. Leider ist das geschlossen. Das bräuchte es heute dringend. Naja. Dafür hat Südtirol wenigstens genug Kneipen.

Ab hier wird die Auffahrt zum Glücksspiel. Geräumt ist relativ gut. Aber es rutscht gewaltig. Bei etwas Gegenverkehr kann ich schon in Bedrängnis kommen.

Am Hotel angekommen, suche ich erst mal den Eingang. Eine Rezeptionistin empfängt mich mit der typisch – Südtiroler aufgesetzten Freundlichkeit. Ich komme mir im Trainingsanzug ziemlich fehl am Platz vor. Wobei ich eigentlich nur Leuten in protziger Skikleidung begegne. Die Rezeptionistin hat schon den Hausmann los geschickt, um Bescheid zu geben, dass ich da bin. Und schau. Kaum bin ich in einer Art Vorzimmer, kommt mir der Chef des Hauses entgegen. Freundlich, sehr freundlich und einladend. Er fragt mich gleich, ob ich Etwas trinken möchte.

„Einen Verlängerten oder Capuccino hätte ich gern. Es darf auch ein Filterkaffee vom Frühstück sein.“ Am liebsten teste ich den Frühstückskaffee, um zu überprüfen, ob die Bewerter des Hotels lügen. Zumindest kann ich so deren Geschmack und ihre Aussagen über Geschmack beurteilen. In den meisten Fällen bekomme ich die Geschmacksmuster der Beurteiler bestätigt. Wer keinen Wert auf ein ausgezeichnetes Getränk legt, nimmt es sicher mit dem Essen nicht so genau.

Der junge Chef gibt mir tatsächlich einen Frühstückskaffee, den mir eine einheimische Kellnerin bringt. Wenn sie den Kaffee gefiltert hat, kann ich mir gut den Hausstand vorstellen. Der Frühstückskaffee ist grässlich. Ich überlege, ob die junge Frau nicht die Teekanne oder den Hauskaffee erwischt hat. Für Tee ist es jedenfalls, braun genug. Ich muss an einen Gaststättenwitz denken, in dem ein Ober vom Gast gefragt wird, was er gerade gebracht hat.

Der junge Chef sucht einen Chefkoch. Ich schätze, er möchte sich eher um die geschäftlichen Dinge kümmern oder zumindest, genug Zeit dafür haben. Das Anliegen ist angesichts der Hotelgröße angebracht. Trotzdem befürchte ich dabei schwere Reibereien. Und genau die möchte ich in meinem Alter nicht mehr haben. Ich frage den Chef, ob er mir Karten, Menüs und Tagesangebote zeigen kann. Er hat das geahnt. All die geforderten Sachen hat er unterm Arm. Wir schauen uns das an; auch Fotos. Das gefällt mir. Ein Küchenchef zeigt mit Fotos, wie er gern die Teller und Platten angerichtet hätte. Das ist keine Vorgabe, die ich getreu umsetzen soll. Das ist nur die Art des Anrichtens, die er mir zeigen möchte.

Ich erzähle ihm von meiner Einstellung und von meiner Schule. Als Kollege begreift er sofort, dass das nicht mein Weg ist. Aber er kämpft. Er lobt mich wegen meiner Erfahrung und fragt, ob ich es nicht versuchen möchte. Im Betrieb sind ausreichend Kollegen. Ich müsste körperlich nicht leiden und könnte den übertriebenen Garniturkram an meine Kollegen delegieren. Sein Lohnangebot ist verlockend. Jetzt stünde nur die Frage des Arbeitsweges, des geteilten Tages und des Personalzimmers. So lange Joana in der Nähe ist, wäre das ja erträglich. Der Dienst von Acht bis Zwei und von Fünf bis Zehn, wäre praktisch ein Vierzehn-Stunden-Dienst. Dazu müsste ich die Hin- und Heimfahrt rechnen. Im Vinschgau. Unter einer Stunde pro Weg, wäre da Nichts möglich. Vielleicht ginge mit dem Motorrad. Jede Stelle erfordert auch etwas langfristige Planungen. Im günstigsten Fall, wäre ich also sechzehn Stunden pro Tag in Sechs-Tage-Woche unterwegs. Ich muss jetzt wirklich abwägen, was mir mein Leben wert ist.

„Ich muss mir das mit meiner Frau zusammen überlegen.“

„Was ist Deine Frau von Beruf?“

„Zimmermädchen.“

„Zimmermädchen brauchen wir schon auch.“

Das ist eigentlich ein faires Angebot, was uns zumindest den täglichen Arbeitsweg ersparen würde.

Bleibt eigentlich nur die Art der Küche. Also, eine Arbeit ohne Spaß in einem Haus, in dem jedes Familienmitglied mein Chef ist.

Jetzt frage ich den Chef, wann er denn die Einstellung vorsieht.

„Im Frühjahr.“

Sprich, nicht jetzt.

Ich unterrichte ihn von meinen anderen Bewerbungen. Das schien ihm egal. Er überlässt mir die Entscheidung. Wir verabschieden uns.

Ich gehe zum Auto und versuche, vom Parkplatz zu kommen. Das versuchen auch einige andere Fahrer. Davon sind reichlich Italiener. Es braucht etwa zwanzig Minuten, ehe ich wegkomme. Ich lass mir absichtlich auch Zeit in der Befürchtung, am Berg auf Probleme zu stoßen.

Die Heimfahrt in Richtung Nauders läuft ohne Behinderungen trotz reichlich Verkehr. Irgendwie scheinen jetzt die besseren Autofahrer unterwegs zu sein.

Dursun steht vor dem Hotel. Er lacht als er mich sieht.

„Haste Oarbeit?“

Das ganze Haus scheint Bescheid zu wissen. Mich freut, Hauptthema bei den Personalgesprächen zu sein. Ich bin gerade pünktlich zum Personalessen.

Reka, die sehr schöne Rezeptionistin, begrüßt mich, als wolle sie mich heiraten. Ausgeruhte Männer sind wahrscheinlich gefragt heute. Das überlasse ich aber Marco. Der ist dafür zuständig.

Marco hat ein feines Streifenfĺeisch gekocht. Nur das Beste. Ich sehe ein paar Steinpilze drinnen.

Wir reden glaub ich, fast ausschließlich von meiner Bewerbung. Die Kollegen horchen mich aus. Das ist, an sich, recht nützlich in unserem Beruf. Auf die Art erfahren die Kollegen untereinander, welche Betriebe empfehlenswert sind und welche nicht.

Marco hat mir noch ein Stück von dem Schokokuchen aufgehoben. Wir sagen Schokokuchen. In Österreich nennt der sich Sacher. Richtig gebacken und feucht gehalten, ein Hochgenuss.

Joana redet von ihrem Feierabend. Sie ist fast fertig. Aber, Ski fahren wollen wir heute nicht mehr. Ruhe ist angesagt.

Tag 64 Fortsetzung


Gelegentlich klingelt das Telefon. Ich stelle mich vor und zähle an diesem Vormittag, rund zehn mal auf, in welchen Firmen ich bisher gedient habe. Das steht in meiner Email. Die Ochsen lesen das nicht mal! Es sind Hoteliers dabei, bei denen ich mich schon einmal bewarb. Ich frage sie, ob sie sich auch mal Notizen machen und mit dem befassen, was ich sage. Ich komme zu der festen Überzeugung, dass die das nicht interessiert. Was interessiert die? Was suchen diese Affen?

Einen Vormittag Bewerbungen versenden und Telefonate führen, kann einem schon ganz schön zusetzen. Mit wem spreche ich? Sind überhaupt kompetente Personen dabei? Zwei Mal rede ich mit einer Sekretärin. Seit wann sucht ein Unternehmer einen Koch mit seiner Sekretärin. Ist der Sekretärin etwa die Unterwäsche mit zu kochen? Hat die Tante jemals einen Topf in der Hand gehabt? Kennt die überhaupt den Unterschied zwischen Rind- und Schweinefleisch? Ich sage ihr, dass ich mit ihr sicher nicht über die Küche reden kann und lege auf. Verarschen kann ich mich selbst. Die letzte wollte glatt wissen, ob ich für siebzig Gäste kochen kann. Warum bewerbe ich mich um die Stelle? Etwa, weil ich bei der Tante zu Hause heizen oder das Bett aufschütteln will?

Die Hälfte der Anbieter einer Stelle als Koch gibt lediglich die Telefonnummer an. Die rufen zurück. Bei den Rückrufen merke ich schnell, warum sie so suchen und nicht direkt. Spätestens bei der Vorstellung und Besichtigung des Betriebes, wird klar, warum die anonym suchen. Irgendwie habe ich trotzdem den Glauben, ich würde dabei mal ein Goldenes Ei finden. Jede Saison das gleiche Spiel. Ich nehme mir schon fast vor, diese Trolle bewusst zu verarschen. Eigentlich müsste man sich bei denen für elfhundert Euro bewerben und denen an einem Abend das Essen versauen. Richtig versauen bei vollem Haus. Was glauben diese Vögel, wer sie sind? Hätten die ihren Beruf richtig gelernt, könnten sie auch kochen.

Das Zimmertelefon klingelt. Alfred ist dran. „Komm etwas Essen, mei Gutster“, ruft er ins Telefon. Es ist Personalessenszeit. Ich gehe runter. Alle sind da. Joana auch. „Wie geht es vorwärts?“fragt Alfred. Er isst heute mit dem Personal. „Nur Arschlöcher am Telefon!“, antworte ich kurz angebunden. Alfred sieht es mir an. Er stellt mir ein Riesenstück Schokotorte vor die Nase. „Iss das. Das beruhigt die Nerven.“

„Da fehlt noch ein dreifacher Obstler. Das ist nur im Suff zu ertragen. Außerdem kann ich so die Landessprache sehr gut nachahmen.“

Joana und ihre Kolleginnen lachen.

Der Schokoüberzug auf der Torte ist einen Zentimeter dick. Wer macht noch solche Torten?

„Von wem ist die Torte, Alfred?“

„Von Marco.“

„Ich hab mich gefragt, wer noch Schokotorten mit so einem Überzug herstellt.“

„Marco verkauft davon vier Torten am Tag.“

„Naja. Damit ist sein Gehalt ja schon zur Hälfte bezahlt.“

Alfred muss schon wieder lachen.

„Nicht ganz. Eine oder zwei Torten geben wir auf das Kuchenbuffet.“

„Bei den verhungerten Westdeutschen wird davon sicher kein Stück zurück kommen.“

„Woher weißt Du das?“

„Weil ich dieses Gesindel aus der besetzten DDR kenne. Die kaufen nichts.“

„Stimmt. Die Torten kaufen nur Holländer und Italiener.“

„Die sind beim kostenlosen Kaffeetrinken sicher die Letzten, die kommen.“

„Zum Kaffeekränzchen sind nur Deutsche da.“

„Das hab ich mir fast gedacht.“

Marco fragt mich, ob mir die Torte schmeckt.

„Natürlich. Du hast auch genug Rum drin. Soll ich Dir noch etwas helfen?“

„Ich mach heute als Vorspeise ein Toastallerlei. Das könntest Du mir machen.“

„Habt Ihr voll?“

„Nur das Haupthaus.“

„Also, achtzig Portionen.“

„Das reicht.“

Ich gehe mit in die Küche und suche mir die Zutaten zusammen. Marco hat extra feines Stangenbrot bestellt. Mehrkorn, Sesam, Weiß und Mohn. Ein recht gutes Sortiment.

„Ich hole schnell mein Messer.“

„Nimm doch das Zackenmesser:“

„Nein. Das krümelt mir zu sehr.“

Ich werde Speck, Schinken, Salami und Räucherlachs als Toast legen. Auf den Speck gebe ich etwas Tomate, auf den Schinken, Ananas, auf den Lachs, Apfel und auf die Salami, Champignons. Abdecken tu ich den Toast mit Zillertaler Hartkäse. Der ist schön aromatisch. Marco kontrolliert das. Ich toaste eine Probe und verlege sie an etwas Feldsalat. Marco ist begeistert.

„So machen wir das!“

„Ich lege nur den Toast. Backen tust Du das doch abends.“

„Ja. Mir reicht das.“

Naja. So hab ich wenigstens den Tag gelebt. Und das nicht in Einsamkeit. Ich werde gerade zur Nachmittagsruhe fertig und gehe zusammen mit Marco. Er fährt mit dem Fahrstuhl mit nach Oben.

„Ich habe noch Etwas zu tun“, sagt er mir.

Ich schätze, er will noch bei einer Bedienung vorbei schauen.

„Pssst“, zeigt er mir. Ich nicke ihm zu.

Marco st der Hahn im Korb. Der hat‘s gut.

Im Zimmer setze ich uns den Kaffee an. Joana kommt mit einem Kuchen. Den hat ihr Alia, unsere Masseuse gebacken. Sie soll den mal probieren.

Wir besprechen meinen Sonntag und die Vorstellung. Joana ist skeptisch. Das reicht zur Einschätzung.

Ich vertröste sie auf Montag. Da möchte ich eine Vorstellungstour in Südtirol machen.

Der Kuchen von Alia ist ein Gedicht. Viele würden jetzt sagen, er wäre etwas zu süß. Ja, aber mein Kuchen, den ich esse, soll süß sein. Salzgebäck ist etwas für Säufer. Und das sind wir eben nicht.

Tag 64


Tag 64

(samstag)

Joana ist schon weg, als ich aufwache. Sie hat sich leise weggeschlichen. Eigentlich mag ich das nicht. Treu der Erziehung in der DDR, ist es eigentlich normal für ein Ehepaar, dass Beide zusammen aufstehen. Wohl in dem Wissen der Lästigkeit im Zuge diverser Aufenthalte im Bad nebst ihren Unterschieden. Eigentlich wollte ich mit Joana das weitere Vorgehen besprechen. Sie hat sich dieser Diskussion entzogen.

Heute ist Samstag und samstags werden die offenen Stellen angezeigt in Südtirol. Im Netz stehen zwar nicht alle Stellen, aber nachschauen lohnt sich in der Not. Allgemein bewerbe ich mich landesweit bei allen Stellen die meiner Qualifizierung entsprechen. Am liebsten ist mir jedoch die Arbeit als Alleinkoch. In sozialistischen Betrieben war es ein Genuss, seinen Kollegen die Arbeit zu verteilen. Bei Fehlanweisungen gab es sofort Kritik und so konnten Spannungen vermieden werden. In diesem System jedoch, ist das fast ausgeschlossen. Der Chefkoch ist derjenige, der die Kritik sowohl von den Gästen als auch von der Geschäftsführung kassiert. Und das wohl in der Kenntnis der mangelhaften oder fehlenden Ausbildung seiner Kollegen. Man schiebt das gern auf eine Kontrollpflicht seitens des Chefkochs gegenüber einen untergebenen Kollegen. Für Küchen ist das aber das falsche System. Küchen funktionieren anders. Der Chefkoch sollte eigentlich dafür sorgen, dass bei ihm im Team, die Posten entsprechend der Leistungen und des fachlichen Könnens verteilt werden. Im Idealfall braucht es dafür keine Kontrolle. Köche verfügen über einen hohen Grad an Eigenkontrolle. Die Eigenkontrolle wird auch im gesamten Kollektiv gepflegt. Sie lernen das. Köche sind auch von sich aus, äußerst kreativ. Mit überflüssigen Befehlen und übertriebener Kontrolle wird genau diese Kreativität vernichtet. Die Kunst besteht jetzt darin, genau diese Kreativität zu steuern. Das positive Ergebnis nennt sich dann Kochkunst. In einem Ausbeutersystem mit endlosen Arbeitstagen wird die Kreativität natürlich schwer beeinträchtigt. Ich finde, dass wir in der DDR besser gekocht haben als hierzulande. Nicht nur kreativer, sondern auch geschmacklich und fachlich besser. Und das kommt ausgerechnet aus dem Mund eines Koches, der sich in Südtirol und den Alpenländern recht wohl fühlt. Allgemein findet das Wohlgefühl nicht so sehr die Ursache bei meinen Südtiroler Gastgebern. Die Ursache ist eher bei den Kollegen aus aller Herren Länder zu suchen.

Nach dem Studium der Anzeigen, komme ich auf nahezu dreißig Bewerbungen. Ich bewerbe mich überall und überlasse es meinen zukünftigen Arbeitgebern, einzuschätzen, ob sie mich nehmen. Migranten haben nicht das Glück, auf ein Familienvermögen zurückgreifen zu können. Wir müssen Alles nehmen, was sich anbietet. In der Situation ist es besser, so lange wie möglich durchzuhalten auf der neuen Stelle. Leider stehen dem Anliegen, ziemlich oft, absolute Rindviecher im Weg. Das kann Unsereins leider erst nach einem persönlichen Gespräch feststellen. Und auch da warten ziemlich oft verhängnisvolle Fallen. Entweder stehen nicht die wirklich Verantwortlichen vor Einem oder die Betreffenden haben einen so hohen Kreidekonsum wie der Wolf von den Sieben Geißlein.

Kaum sind die Bewerbungen weg, klingelt schon das Telefon. Jetzt klingelt auch wieder meine Kasse bei unserem Telefonanbieter wegen des Roamings. Ich muss also wieder Geld mitbringen, um eine Arbeit zu bekommen. Arme Schweine haben da keine Chance.

Ich gehe ran ans Telefon und werde nach Burgeis eingeladen zur Vorstellung. Na gut. Das ist gleich um die Ecke, denke ich mir. Das nehme ich also mal mit. Ich suche als Erstes den Standort des Hotels. Auf der Karte im Computer sieht das recht freundlich aus. Wir verabreden uns auf Sonntag. Für die Nähe muss ich keine Route extra zusammenstellen. Irgendwie regt sich in mir eine Art Vorfreude. Ich schaue schnell nach, welches Hotel das ist. Es riecht nach Sternen. Die Vorfreude dämpft sich etwas. Das Überdrehte der Besitzer von Vier Sterne – Betrieben ist mir mittlerweile schon fast lästig. Ich kann mit diesen Leuten kaum reden. Sie sind größtenteils alle irgendwie abgehoben oder nicht mehr von dieser Erde. Zum Einen, wollen sie einen fachlich sehr gut ausgebildeten Kollegen und zum Anderen, kommen sie mit der einfachen Beschreibung eines fortschrittlichen Garverfahrens nicht zurecht. Die stellen sich fast so an, wie ich mich mit einer Programmierbeschreibung. Und das wollen Gastronomen sein. Ich muss innerlich lachen. Dort erwarte ich nichts Besonderes.

Laufe des Vormittags treffen reichlich Emails ein, die ich beantworte und zu einer Bewerbungsroute zusammen stelle. Ich muss mir Notizen machen und für jede Vorstellung samt Anreise, eine Stunde einplanen.

Tag 63 Fortsetzung


Ruth geht gleich als Erstes zum Salat. Unsere Frühstücksgäste sind noch gar nicht da. Den Kaffee trinken wir nebenbei. Eigentlich würde ich schnell noch Eine rauchen. Die Zeit, erst runter zu gehen, ist dafür zu kurz. Ich gehe auf die Toilette und öffne dort das Fenster. Die neue Raucherinsel; das Scheißhaus. Wenn unsere Gesetzgeber wirklich unsere Gesundheit und damit unser Leben lieben, würden sie wohl als Erstes die Sechs-Tage-Woche abschaffen und die Sauferei verbieten. Die Arbeiter sterben wegen Stress und Misshandlung. Nicht wegen des Rauchens. Das ist ein Pseudoalibi.

Kaum bin ich zurück, stehen schon unsere ersten Kunden am Buffet. Sehe ich mir die Kunden in einer Reihe an, muss ich feststellen, dass Mulatten und Neger die schönsten Menschen sind. Ich bekomme fast Minderwertigkeitsgefühle. Das Lächeln dieser Menschen ist ehrlich und sieht schön aus. Ich muss mir fast immer eine Hand vor den Mund halten. Meine Kunden sollen die Zahnlücken nicht sehen. Sie lachen mich sonst aus. Ein Koch in einem reichen Land hat Zahnlücken. Peinlich. Sie haben keine. Wenn sie hier bleiben, brauchen sie zehn Jahre und sie haben auch welche. Ein Leben lang, Krankenkasse bezahlt und als Rentner, keine Zähne. Ich frage mich, wer das Geld klaut. Wir haben in der DDR nicht mal die Hälfte in die Krankenkasse bezahlt. Bei uns war Gesundheit ein gesellschaftliches Anliegen. Hier rennen wir mit einem Portemonnaie zum Arzt. Ist der jetzt ein Arzt oder ein Geschäftsmann? Dann lass‘mer das eben den Markt entscheiden, wer uns die Zähne ersetzt.

Als Frühstückssuppe habe ich heute eine süße Suppe gekocht. Und schau, ich muss nachkochen. Puddingsuppe scheint ein Renner zu sein. Schokopudding. Zwischendurch muss ich schnell mal kontrollieren, wie der Gulasch und meine gefüllten Zucchini aussehen. Die Zucchini sind fertig. Ruth riecht sie und fängt gleich an zu schlucken.

„Ich habe genug. Du kannst ruhig probieren.“

Nach dem Frühstück trinken wir zusammen richtig Kaffee und wir essen etwas Kuchen, der noch übrig ist. Wir sind die Resteverwerter. Sozusagen, die Schweine der Essenausgabe. Damit sparen wir uns etwas Geld und müssen kein Essen kaufen. Bei unseren Westbesatzern müssten wir das versteuern. Pauschal. Die schätzen das. Selbst Abfall wird bei den Faschisten versteuert. Und die wollen Kommunisten schlecht machen.

Jetzt haben wir Zeit, nach Unten zu gehen und eine richtige Rauchpause einzulegen. Kaum sind wir Unten, kommt Alois. Er kommt nicht allein. Mit ihm kommen meine Chefs. Die haben sich bis jetzt, nicht vorgestellt. Man trägt Anzug.

„Wir müssen mit Dir mal kurz reden“, sagt Alois.

Wir gehen gemeinsam hoch in die Küche. Vor der Küche, im Speiseraum, wartet die Besitzerfamilie des Betriebes. Ich stehe abseits und man streitet.

Das Ergebnis des Streites bekomme ich umgehend von Alois gesagt.

„Die Familie hat die Pacht ausgeschrieben und wir haben verloren.“

Ich höre noch ein paar Brocken wie:

„Wir haben doch jetzt einen guten Koch. Was wollt Ihr mehr?“

„Zu spät. Wir haben uns gekümmert.“

Die gehörten Worte sagen mir, ich sollte denen einen versauten Pachtvertrag retten. Und jetzt?

„Alois. Was ist jetzt mit mir?“

„Ja. Deinen Job hat jetzt ein Anderer.“

Das muss mir eigentlich Keiner zwei Mal sagen.

„Dann wird sicher der Andere mein Essen ausgeben heute.“

„Ne. Bleib und wir werden uns kümmern.“

„Wie? Habt ihr einen Ersatz für diese Arbeit?“

„Nein. Jetzt nicht.“

„Na dann. Tschüss!“

„Wir können Nichts machen, Herr Karl,“ sagte mir der Chef des Pachtunternehmens.

„Lohn für die zwei Tage?“

„Wir überweisen das. Geben Sie mir mal das Konto.“

Ich zeige ihm meine Karte und er schreibt die Nummer auf.

„Die Fahrtkosten habe aber ich bezahlt bis jetzt.“

„Die überweisen wir mit.“

Ich frag mich, ob die überhaupt ein Geld in der Tasche haben.

Jetzt packe ich, verabschiede mich, gehe zum Auto und verschwinde. Bis dahin war kein Vertrag unterzeichnet. Ich sollte den Lückenbüßer darstellen.

Die Zeit ist günstig. Es ist wenig Verkehr. Bis der Mittagsverkehr einsetzt, habe ich noch zwei Stunden Zeit. Das garantiert eine kurze Reisezeit zum Reschen.

Alfred ist überrascht als ich schon da stehe.

„Schon wieder Schluss?“

„Ich hab sie mit ihrem Essen stehen lassen. Sie wollten mich ersetzen.“

„Naja. Das klingt, als wollten die Dich gar nicht einstellen.“

„Joana war schon skeptisch.“

„Am besten, Du schickst Joana, Dir eine Arbeit versorgen.“

„Im Moment kann ich es noch. Aber, der Ratschlag ist nicht schlecht.“

„Wie fühlst Du Dich den jetzt als Zuhälter?“

Alfred lacht.

„Ich muss jetzt ganz schnell schauen, ob die Stellen schon besetzt sind, auf die ich mich beworben habe.“

„Mach hin!“

Ich gehe kurz bei Marco vorbei. Er bietet mir etwas zu Essen an.

„Ich habe gerade Kuchen gehabt. Danke.“

„Ich habe heute Vorspeisenbuffet. Anreisetag.“

„Hast Du Alles fertig?“

„Ja. Danke für Dein Angebot.“

„Ich gehe dann mal rauf.“

„Joana kommt gleich mit ihren Kolleginnen.“

Ich gehe mich ins Zimmer verdrücken. So richtig groß ist die Enttäuschung nicht. Ich hätte bei dieser Tätigkeit keine zwölfhundert Euro verdient.

Joana kommt aufs Zimmer. Sie weiß schon Bescheid. Ihre Enttäuschung hält sich auch in Grenzen.

„Zur Feier des Tages könnten wir ja mal ausgehen heute“, sage ich zu Joana.

„Wohin willst Du denn gehen?“

„Zu Ingrid in den Imbiss und zur Tankstelle zum Essen.“

„Das ist ein guter Einfall.“

Ingrid ist zwar ein Imbissbetrieb. Aber zu Essen hat sie nichts außer ein paar Keksen. Dafür hat sie aber einen guten Kaffee. Unsere Landsleute gehen auch gern Lotto spielen bei ihr. Zumindest erfahre ich dort die neuesten Nachrichten und bisweilen auch Stellenangebote aus der Umgebung. Ingrid hat bis auf den Kaffee und ein paar schöne Nachrichten, Nichts zu bieten. Also, gehen wir in die Tankstelle zu unseren türkischen Freunden. Uns begrüßt Agnes, ein ehemaliges ungarisches Zimmermädchen und Kollegin Joanas, die einen türkischen Kellner geheiratet hat. Yusuf, ihr Mann, ist jetzt der Chef in der Tankstelle. Wir setzen uns etwas in den hinteren Raum. Dort stehen Spielautomaten. An den Automaten stehen die alten Bekannten. Meist Saisonarbeiter aus den Skibetrieben. Alle grüßen freundlich und wollen wissen, wo ich jetzt arbeite. Kaffee aus dem Automaten und ein paar mit Schnitzel belegte Brötchen, sind unser Abendessen. Bis zur Schließung der Tankstelle ist das unser heutiger Ausflug.

Komisch. Ausgerechnet bei Gastarbeitern aus aller Herren Länder, findet Unsereins sofort Freunde und Gesprächspartner.

Tag 63


Tag 63

Joana weckt mich. Dieses Mal mit Kaffee. Sie steht extra wegen mir auf. Das ist mir eigentlich nicht recht. Ich möchte, dass sich Joana anständig ausruht. Mit dem frühen Aufstehen wird ihr Arbeitstag länger. Nach dem Frischmachen reden wir etwas miteinander. Joana ist skeptisch als sie meine Erzählungen hört. Normal wäre heute mein letzter Arbeitstag in dieser Woche. Joana hat aber mittwochs frei. Das ist der nächste Punkt, der mich beunruhigt. Wir haben nicht zusammen frei. Bei einem freien Tag pro Woche, ist das ein wesentlicher Punkt der gemeinsamen Freizeitgestaltung. Und der fehlt uns damit. Joana kann in ihrem Sommerbetrieb als auch bei Alfred, keinen freien Wochenendtag durchsetzen. Das bekommen nur Einheimische. Vor Allem, Einheimische mit Kindern.

Im Grunde können wir in unserer Branche schlecht Etwas planen. Unsere gemeinsame Freizeit ist grundsätzlich eine Fahrt ins Blaue. Wir können nirgends ein Hotel buchen, einen Besuch planen oder dafür gar einen Urlaub oder freien Tag beantragen. Wir werden bei solchen Anliegen auf die Zeit zwischen den Saisonen verwiesen. Gerade an Wochenenden ist es ungeheuer schwer, in der Gastronomie einen freien Tag oder ein regelmäßiges Frei zu bekommen. Genau aus dem Grund, passt ein Industriearbeitsplatz nicht zu einem gastronomischen Arbeitsverhältnis. Das ist auch der Grund für den extrem hohen Personalwechsel in unserer Branche. Der Witz ist eigentlich, dass Joana und ich auch, lieber unter der Woche frei haben möchten. Wir finden den Trubel an Wochenenden irgendwie zu belastend. Es kann durchaus sein, dass wir eine gewisse Menschenscheu entwickelten in unserem Gewerbe.

Freitags ist die Fahrt auf Arbeit kein Zuckerschlecken. Selbst zu der Zeit, zu der ich fahren möchte, ist schon gewaltig Bewegung. Vor allem bei Betrieben mit Transportaufgaben. In mir verfestigt sich der Eindruck, am Freitag wird versucht, die Versäumnisse der gesamten Woche aufzuholen. Vielleicht liegt es auch an der Art unserer Beschäftigungsverhältnisse. In den Alpen sind die Arbeitswege einfach zu lang. Montags fährt der Arbeiter zur Arbeit und freitags, zurück. Von Familienleben kann keine Rede sein in unseren Kreisen. Um diese Zeit, sind meistens Bewohner aus den Seitentälern unterwegs. Deren Leben ist erheblich unbequemer als das in der Nähe von Städten und Gewerbegebieten. Dafür sind diese Bewohner aber die besseren Autofahrer.

Der rege Verkehr konzentriert sich auf die Landstraßen. In den Ortschaften dagegen, herrscht bedrückende Ruhe. Viele würden jetzt das Sprichwort mit der Ruhe vorm Sturm anwenden. Gegen sieben Uhr soll sich das schnell ändern.

Ich bin schon angekommen. Vor dem Betrieb ist reger Verkehr. Die Parkplätze sind knapp wie überall. Streit gibt es aber keinen. Frei nach der Devise: „Wer zuerst kommt, malt zuerst“, trägt man ruhig die Verteilung der Parkplätze. Ein Westdeutscher würde jetzt lallen: „Das ist mein Parkplatz.“

Wir gehen, für mich das erste Mal, gemeinsam in Richtung Garderobe und Küche. Die Kollegen helfen mir beim Öffnen der Türen. Das ist der klare Beweis dafür, wie man ein Zusammenleben von nahezu einhundertfünfzig verschiedenen Völkern organisiert. In mir verfestigt sich tiefgreifend der Eindruck, die jetzige Welt wird von kriminellem Gesindel diktiert. Arbeiter haben keinen Streit untereinander.

Die Küche riecht heute genau so fürchterlich wie gestern und vorgestern. Wenn eine Räumlichkeit verpachtet wird, fühlt sich Keiner bei der dringend nötigen Hygiene angesprochen. Wir reden von purem Kapitalismus und dessen Auswirkung auf Gesundheit und Wohlbefinden.

Als Erstes kümmere ich mich wieder um die Ansätze und danach um die Semmeln. Die Kollegen haben mir die mit hoch getragen.

„Heute sin wenige“, sagt mir ein polnischer Kollege.

„Wie, wenige?“, frag ich zurück.

„De Kollege sin auf Schule.“

„Den ganzen Tag? Oder kommen sie zu Mittag wieder?“

„Da kommt Keiner.“

In der Ausgabe liegt ein Zettel. „Heute kommen fünfzig Kollegen weniger.“

Das passt mir gut. Ich hab es freitags gern etwas gemütlicher. Freitags sind zusätzlich einige Produkte zu verpacken und zu beschriften. Das dauert in aller Regel eine halbe Stunde nach Feierabend.

Mein Menü für heute ist denkbar einfach:

Salatbuffet

Nudelsuppe

Polenta Gorgonzola

Risotto al Verdura

Rindsgulasch, Spätzle

Gefüllte Zucchini, Ofenkartoffel

Aprikosenjoghurt

Mein Dessert ist praktisch fertig. Die Polenta muss ich recht zeitig aufsetzen. Die koch ich gern im Wasserbad. Das Gulasch ist bereits geschnitten. Das muss ich nur mit Gewürzen, etwas Paprika und Öl vermengen. Den Rest macht der Dämpfer. Für die gefüllten Zucchini muss ich die halbieren, entkernen und das Innenfleisch mit Brot und Käse kuttern. Ich gebe etwas Oregano, Knoblauch, Salz, Pfeffer und eine winzige Prise Zucker dazu. Die Temperatur für den Gulaschansatz ist auch sehr gut für das Gratinieren der Zucchini geeignet. Alles passt. Ich gebe gleich ein paar Kartoffeln in einem abgedeckten Gastronorm dazu und fülle etwas Wasser unten drunter. Eine Schnelldampfmethode, fast so gut wie ein Schnellkochtopf. Ich schäle im Winter gern meine Ofenkartoffel. Kartoffeln werden im Winter etwas behandelt. Das will ich meinen Gästen nicht antun, indem ich die Kartoffeln mit Schale serviere. Genau deshalb, koche ich meine Ofenkartoffeln etwas vor. Nach dem Abschrecken, lassen sich die Kartoffeln wirklich schnell und sehr leicht schälen.

Danach brauche ich die Kartoffeln nur noch halbieren, würzen und backen.

Das Gemüse für den Risotto und für die Nudelsuppe ist schon gefroren da. Also, keine Probleme.

Ruth kommt und macht uns den Kaffee.

„Wie geht es Dir, Ruth?“

„Und Dir?“

„Mir geht es beschissen wie immer.“

„Was! Gefällt es Dir hier nicht?“

„Nein. Das sage ich aus Gewohnheit. Wenn es mir gut gänge, wäre ich sicher nicht auf Arbeit.“

„Das hast Du auch wieder Recht.“

Ruth lacht. Das ist ein Lachen, welches ich sehr selten sehe in Südtirol.

Fortsetzung folgt

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