Tag 63


Tag 63

Joana weckt mich. Dieses Mal mit Kaffee. Sie steht extra wegen mir auf. Das ist mir eigentlich nicht recht. Ich möchte, dass sich Joana anständig ausruht. Mit dem frühen Aufstehen wird ihr Arbeitstag länger. Nach dem Frischmachen reden wir etwas miteinander. Joana ist skeptisch als sie meine Erzählungen hört. Normal wäre heute mein letzter Arbeitstag in dieser Woche. Joana hat aber mittwochs frei. Das ist der nächste Punkt, der mich beunruhigt. Wir haben nicht zusammen frei. Bei einem freien Tag pro Woche, ist das ein wesentlicher Punkt der gemeinsamen Freizeitgestaltung. Und der fehlt uns damit. Joana kann in ihrem Sommerbetrieb als auch bei Alfred, keinen freien Wochenendtag durchsetzen. Das bekommen nur Einheimische. Vor Allem, Einheimische mit Kindern.

Im Grunde können wir in unserer Branche schlecht Etwas planen. Unsere gemeinsame Freizeit ist grundsätzlich eine Fahrt ins Blaue. Wir können nirgends ein Hotel buchen, einen Besuch planen oder dafür gar einen Urlaub oder freien Tag beantragen. Wir werden bei solchen Anliegen auf die Zeit zwischen den Saisonen verwiesen. Gerade an Wochenenden ist es ungeheuer schwer, in der Gastronomie einen freien Tag oder ein regelmäßiges Frei zu bekommen. Genau aus dem Grund, passt ein Industriearbeitsplatz nicht zu einem gastronomischen Arbeitsverhältnis. Das ist auch der Grund für den extrem hohen Personalwechsel in unserer Branche. Der Witz ist eigentlich, dass Joana und ich auch, lieber unter der Woche frei haben möchten. Wir finden den Trubel an Wochenenden irgendwie zu belastend. Es kann durchaus sein, dass wir eine gewisse Menschenscheu entwickelten in unserem Gewerbe.

Freitags ist die Fahrt auf Arbeit kein Zuckerschlecken. Selbst zu der Zeit, zu der ich fahren möchte, ist schon gewaltig Bewegung. Vor allem bei Betrieben mit Transportaufgaben. In mir verfestigt sich der Eindruck, am Freitag wird versucht, die Versäumnisse der gesamten Woche aufzuholen. Vielleicht liegt es auch an der Art unserer Beschäftigungsverhältnisse. In den Alpen sind die Arbeitswege einfach zu lang. Montags fährt der Arbeiter zur Arbeit und freitags, zurück. Von Familienleben kann keine Rede sein in unseren Kreisen. Um diese Zeit, sind meistens Bewohner aus den Seitentälern unterwegs. Deren Leben ist erheblich unbequemer als das in der Nähe von Städten und Gewerbegebieten. Dafür sind diese Bewohner aber die besseren Autofahrer.

Der rege Verkehr konzentriert sich auf die Landstraßen. In den Ortschaften dagegen, herrscht bedrückende Ruhe. Viele würden jetzt das Sprichwort mit der Ruhe vorm Sturm anwenden. Gegen sieben Uhr soll sich das schnell ändern.

Ich bin schon angekommen. Vor dem Betrieb ist reger Verkehr. Die Parkplätze sind knapp wie überall. Streit gibt es aber keinen. Frei nach der Devise: „Wer zuerst kommt, malt zuerst“, trägt man ruhig die Verteilung der Parkplätze. Ein Westdeutscher würde jetzt lallen: „Das ist mein Parkplatz.“

Wir gehen, für mich das erste Mal, gemeinsam in Richtung Garderobe und Küche. Die Kollegen helfen mir beim Öffnen der Türen. Das ist der klare Beweis dafür, wie man ein Zusammenleben von nahezu einhundertfünfzig verschiedenen Völkern organisiert. In mir verfestigt sich tiefgreifend der Eindruck, die jetzige Welt wird von kriminellem Gesindel diktiert. Arbeiter haben keinen Streit untereinander.

Die Küche riecht heute genau so fürchterlich wie gestern und vorgestern. Wenn eine Räumlichkeit verpachtet wird, fühlt sich Keiner bei der dringend nötigen Hygiene angesprochen. Wir reden von purem Kapitalismus und dessen Auswirkung auf Gesundheit und Wohlbefinden.

Als Erstes kümmere ich mich wieder um die Ansätze und danach um die Semmeln. Die Kollegen haben mir die mit hoch getragen.

„Heute sin wenige“, sagt mir ein polnischer Kollege.

„Wie, wenige?“, frag ich zurück.

„De Kollege sin auf Schule.“

„Den ganzen Tag? Oder kommen sie zu Mittag wieder?“

„Da kommt Keiner.“

In der Ausgabe liegt ein Zettel. „Heute kommen fünfzig Kollegen weniger.“

Das passt mir gut. Ich hab es freitags gern etwas gemütlicher. Freitags sind zusätzlich einige Produkte zu verpacken und zu beschriften. Das dauert in aller Regel eine halbe Stunde nach Feierabend.

Mein Menü für heute ist denkbar einfach:

Salatbuffet

Nudelsuppe

Polenta Gorgonzola

Risotto al Verdura

Rindsgulasch, Spätzle

Gefüllte Zucchini, Ofenkartoffel

Aprikosenjoghurt

Mein Dessert ist praktisch fertig. Die Polenta muss ich recht zeitig aufsetzen. Die koch ich gern im Wasserbad. Das Gulasch ist bereits geschnitten. Das muss ich nur mit Gewürzen, etwas Paprika und Öl vermengen. Den Rest macht der Dämpfer. Für die gefüllten Zucchini muss ich die halbieren, entkernen und das Innenfleisch mit Brot und Käse kuttern. Ich gebe etwas Oregano, Knoblauch, Salz, Pfeffer und eine winzige Prise Zucker dazu. Die Temperatur für den Gulaschansatz ist auch sehr gut für das Gratinieren der Zucchini geeignet. Alles passt. Ich gebe gleich ein paar Kartoffeln in einem abgedeckten Gastronorm dazu und fülle etwas Wasser unten drunter. Eine Schnelldampfmethode, fast so gut wie ein Schnellkochtopf. Ich schäle im Winter gern meine Ofenkartoffel. Kartoffeln werden im Winter etwas behandelt. Das will ich meinen Gästen nicht antun, indem ich die Kartoffeln mit Schale serviere. Genau deshalb, koche ich meine Ofenkartoffeln etwas vor. Nach dem Abschrecken, lassen sich die Kartoffeln wirklich schnell und sehr leicht schälen.

Danach brauche ich die Kartoffeln nur noch halbieren, würzen und backen.

Das Gemüse für den Risotto und für die Nudelsuppe ist schon gefroren da. Also, keine Probleme.

Ruth kommt und macht uns den Kaffee.

„Wie geht es Dir, Ruth?“

„Und Dir?“

„Mir geht es beschissen wie immer.“

„Was! Gefällt es Dir hier nicht?“

„Nein. Das sage ich aus Gewohnheit. Wenn es mir gut gänge, wäre ich sicher nicht auf Arbeit.“

„Das hast Du auch wieder Recht.“

Ruth lacht. Das ist ein Lachen, welches ich sehr selten sehe in Südtirol.

Fortsetzung folgt

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