Die Suche
Wir hatten also ab jetzt, die Möglichkeit, reichlich Fehler zu begehen. Der Rat mit der Treuhand war an sich nicht schlecht. Die Treuhand wurde in der Bezirkshauptstadt eingerichtet. Für uns war das Karl-Marx-Stadt.
In diesen Tagen wurden über Nacht, Millionen DDR Bürger arbeitslos. Lohnzahlungen blieben aus und verschwanden. In der Nacht fuhren tausende Lastwagen durch das Land in Richtung Westen.
Darauf waren unsere Maschinen und Fabrikeinrichtungen. Darunter modernste Technik.
Unsere Großeltern fragten bei unserem Besuch, ob die Russen wieder da seinen.
„Nein. Es sind angeblich unsere Landsleute.“
„Und die klauen unsere Maschinen?“
„Ja. Das haben die doch auch in der Sowjetunion gemacht. Offensichtlich können die sich nicht von ihren Gewohnheiten verabschieden.“
„Das geht nicht gut aus!“
Vor nahezu jeder Haustür standen Kriminelle aus dem Bruderland. Sie boten Zeitungsabonnements, Versicherungen, Tauschgeschäfte, bösartige Kredite und reine Betrugsartikel. Nach DDR Recht, wären über Nacht sämtliche Gefängniszellen der DDR, nachhaltig ausgebucht mit diesem Gesindel. Im Arbeitseinsatz hätten diese Lumpen unsere Braunkohletagebaue komplett begrünen können. Selbst Banken mutierten zu reinen Betrugsgesellschaften. Wahrscheinlich sind auch Banken dabei, die schon die UdSSR im Zeiten Weltkrieg beraubten. Traditionsbanken nennen die sich auch noch.
Wir fuhren also zu einer Filiale der Treuhand in unsere Bezirkshauptstadt. Einen Ruhetag hatten wir noch. Und den wollten wir sinnvoll verbringen.
Die Filiale ist ausgerechnet in einem Betrieb untergebracht, den wir von unseren Hygiene- und Reinigungsmitteln her kennen. Die Arbeiter dieser Firma sind jetzt arbeitslos. Sie dürfen jetzt die Grünanlagen davor pflegen, die wir bei unseren Subbotniks dort anlegten. Schade. Die Berberitzen haben nicht deren Einzug verhindern können. Wir betreten den Tempel und werden schon beim Empfang im Westjargon bedient. Jetzt reden wir nicht mehr mit unseres Gleichen. Im Wartesaal des Gebäudes treffen wir viele Kollegen und ihre Familienmitglieder. Sie sind teilweise empört über den Umgangston in diesen Stuben. Gelegentlich kommen aus dem Paternoster Typen mit weißem Hemd, schräg gestreiftem Schlips und dunkelblauem Wollmantel.
„Was ist das für eine Uniform?“, fragt mich Gerd, ein Kollege aus dem Nachbarort.
„Gestapo?“, fragt Jens aus dem Jugendclub eines anderen Nachbarortes. Er lacht noch dabei. Eine Stunde später war ihm das Lachen vergangen. Sein Club wurde verschenkt. An ein Anwaltsbüro.
„Den Club habt Ihr doch erst frisch gebaut“, sagt Joana zu ihm.
„Wir sind gerade fertig geworden. Auch mit unserer Wohnung oben drüber“, antwortet Agnes, die Frau von Jens.
„Dann musst Du aber schnell aufräumen. Wenn die Dein kommunistisches Agitationsmaterial finden, wird es richtig lustig.“
Unsere Jugendclubs waren auch FDJ – Treffpunkte und Schulungszentren. Die FDJ war im Westen immerhin verboten. Die hatten eben keine braune Hemden. Nur blaue.
„Wenn die unsere Unterlagen finden, werden sie vielleicht auch Menschen“, antwortet Jens lachend.
„Sind das DDR Anwälte?“
„Nein. Alle vom Westen.“
„Aha. Das Unrecht hält Einzug mit Unrecht. Dann erwarte ich auch bei unserem Ansuchen, kein Recht.“
„Was willst Du hier?“
„Wir brauchen eine neue Gaststätte. Vielleicht können wir etwas DDR Kulturgut retten.“
„Da sehe ich schwarz bei den neuen Herrschaften.“
„Naja. Du musst jetzt auch neu suchen.“
„Das wird eine finstere Zeit, denke ich.“
Fortsetzung folgt
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