Der Sonntag beginnt bei uns wie jeder Sonntag. Joana steht zuerst auf und weckt mich mit der Kaffeemaschine. Das Sprudeln des kochenden Wassers über dem Kaffeefilter verleiht der Luft auch den typischen Kaffeegeschmack. Keine Kochnase kann dem widerstehen. Mir scheint manches Mal, der Duft trägt in sich schon das Koffein, welches wir zum Aufstehen benötigen.
Sonntags Morgen geht mir immer ein Gedanke durch den Kopf.
„Du hast wieder zwei Wochen Arbeit geschafft.“
In einer Woche, muss ich anfügen.
Auf dem Arbeitsweg begegnet mir niemand. Niemand ist gut gesagt. Radfahrer. Die brechen früh auf. Wie wir. Gelegentlich begegnen mir auch Radfahrer im Auto. Dem Nummernschild und der Richtung nach, fahren die nach Hause. Kostenlos. Über das Naturschutzgebiet Reschen. Dort herrscht meistens der Wind, der den Naturschutz nach Norditalien verfrachtet. Über die kann man dann lästern. Wehe es ist Südwind.
„Die Walschen schicken uns wieder ihren Schmutz“, dröhnt es dann aus allen Lautsprechern. Bei uns dürfen wir dann nur noch mit dem Fahrrad in die Stadt. Die Walschen dürfen nur an einem Tag des Wochenendes mit dem Auto fahren.
„Das haben die sich auch verdient“, ballert der Lautsprecher hinter her. Wieso geben die den Deutschen überhaupt Betten und Nahrung in ihrem „Dreckstall“?
Ich bin kaum auf dem Platz vor dem Restaurant, passiert eine Schlange Autos mit Campinganhängern und dem gesamten Garageninhalt unseren Parkplatz. Mir scheint, die Schlange möchte kein Ende nehmen.
Die Scheibe eines Autos senkt sich. Eine Tüte kommt geflogen. Fast trifft die mich. Auf dem Bitumen platzt sie. Man könnte fast denken, vor mir liegt der Darminhalt eines Kamels. Der wäre mir lieber. Der eignet sich wenigstens für den Gartenbau.
In den meisten Autos der Schlange sitzen Frauen auf der Beifahrerseite. Die sorgen wenigstens für Ordnung im Auto. Naja. Bis auf den überdimensionierten Farbkasten vielleicht.
Heute ist die Tür offen. Im Büro brennt Licht. Ich sehe Hannes aufgeregt telefonieren. Gabriel steht bei ihm. Ohne Engelsflügel.
Kaum bin ich im Vorraum des Restaurants, geht die Bürotür auf. Gabriel schaut traurig.
„Das war unsere erste und einzige Disco.“
„Was ist passiert?“
„Walter möchte sein Geld.“
„Hast du nicht bezahlt?“
„Ich schon.“
Mir fährt ein Schreck durch die Beine. In der Küche brennt auch schon Licht. Die ganze Familie von Hannes ist da. Simon, der Sohn von Hannes, richtet Getränke für die Bar. Melanie, die Tochter, hilft ihm dabei. Elena hat ihr Barkleid an und eine Schürze darüber gezogen. Erwin ist beim Gläser polieren. Die Tische sind schon gedeckt. Ich komme mir vor, als wäre ich zu spät auf Arbeit gekommen.
Als Tagesgericht habe ich einen Rostbraten vorgesehen. Den schiebe ich als Ganzes. Rosa. Hier wird er gern in sehr dünnen Scheiben serviert. Mit einer guten Bratensauce.
Paolo kommt. Er setzt den Teigkneter an mit frischem Pizzateig.
Der Sonntag beginnt auf Hochtouren.
Das Mittagsgeschäft läuft sehr gut. Wir bekommen reichlich Gäste. Auch Fremde, die auf Durchreise sind. Es sind Deutsche dabei und sogar Landsleute aus dem Süden.
Paolo kommt hastig in die Küche gestürmt. Er benötigt Zutaten für den Pizzabelag. Gleichzeitig setzt er die Teigmaschine an. Er scheint zu schwimmen. Bei mir hält sich das in Grenzen.
Im Gastraum sind reichlich Kindergeräusche zu hören. Hannes kommt mit zwei Kleinen in die Küche. Wie ich das mit bekomme, sind das die Kinder von Freunden oder Nachbarn.
Der Tag läuft gut bisher. Die Kasse scheint zu klingeln. Schon am dritten Tag. Wenn das so weiter geht, sehe ich eine hoffnungsvolle Zukunft.
Die Mittagspause fällt aus – heute. Ich habe noch zwei große Blechkuchen gebacken. Auch drei Strudel. Wir spekulieren auf ein Kaffeegeschäft. Das hat sich aber als Flop erwiesen. Die Familie und die Kollegen streiten sich um die Backwaren. Vier Stück ins Büro. Drei Stück an die Bar. Greti, Eva und Erwin verkosten den Kuchen in der Küche.
Das Abendgeschäft beginnt fast nahtlos. Man könnte den Eindruck bekommen, unsere Gäste wären sitzen geblieben. Ich höre die gleichen Laute und Stimmen, wie zum Mittagstisch. Bis auf ein paar Schnitzel, bekomme ich kaum Arbeit. Paolo hingegen, hat Hochbetrieb. Im Gastraum und an der Bar stehen Gäste, die ihre Pizza mit nach Hause nehmen möchten. Sie verlassen das Haus mit Stapeln an Kartons, in denen sich die Pizzen befinden.
Ich soll ihm wieder Belag für die Pizza nach schneiden. Paolo lacht. Er freut sich über das Geschäft. In unserem Beruf sehe ich selten Gesichter, die sich so über die Arbeit freuen wie Paolo. Er wirkt wie aufgezogen. Zwischendurch lädt er eine Pizza bei mir in der Küche ab.
„Das ist eine falsche Bestellung. Nimm sie deiner Frau mit nach Hause.“
„Jetzt balzt der schon indirekt mit meiner Frau“, denke ich. Kein Wunder, dass Pizzaioli unter Frauen so beliebt sind.
„Ich habe sie extra scharf gemacht“, trällert er dazu, kneift das Auge und formt mit dem Zeigefinger und dem Daumen ein O.
Der Abend bricht wie auf Signal, plötzlich ab. Als hätte ein Polizist die Polizeistunde ausgerufen. Nur am Tresen sitzen noch ein paar Gäste. Unsere Stammgäste. Ein paar Bauern und Handwerker aus der Nachbarschaft.
Hannes kommt mit Elena in die Küche. Er drückt mir zwei Hunderter in die Hand.
„Das ist unser letzter Tag, Karl.“
Ich bin schockiert.
„War mein Essen nicht gut genug?“
„Doch. Wir schließen.“
Er drückt mir noch eine Flasche Wein in die Hand.
„Gute Nacht.“
„Soll ich dir eine Empfehlung schreiben“, fragt Elena.
„Viel wird das nicht bringen bei dem kurzen Auftritt.“
„Man weiß nie“, sagt sie lachend.
„Ich hänge sie an deine Lohnunterlagen.“
„Danke.“
Wieso sage ich Danke? Für was? Das ist mir wahrscheinlich so raus gerutscht. Ich plappere zu viel, wenn ich aufgeregt bin. Und nach der Mitteilung, bin ich etwas aufgeregt. Ich muss mir etwas Zeit lassen, bevor ich das Motorrad besteige. Zwei Zigaretten vorm Haus werden mich beruhigen.
Kaum stehe ich vor der Tür, kommen mir unsere Polizisten entgegen. Wir schwätzen etwas. Komisch. Sie wissen von unserem letzten Arbeitstag. Die wird doch nicht etwa Walter bestellt haben?
„Hannes schuldet Walter Geld. Der Betrieb wird geschlossen.“
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