
Wegen diesem Treffen schaffe ich natürlich Bozen nicht. Ich schreibe eine Email.
„Ich komme etwas später.“
Jetzt brauche ich Ruhe. Joana schläft zum Glück wieder. Ich schleiche ins Bett. Es ist weit nach ein Uhr.
Am Morgen nehme ich meine Unterlagen mit und sicherheitshalber, ein kleines Messer und einen Stein. Ich weiß nicht mehr genau, ob der Anruf von Leo ein Hilferuf war.
Die Fahrt um diese Zeit in diese Richtung ist recht gemütlich. Auf der Gegenseite staut es schon. Bei dem Anblick frage ich mich immer wieder, warum der internationale Lastverkehr ausgerechnet zum Werksverkehr durch den Vinschgau muss. Grausam, was den Arbeitern hier angetan wird. Das ist eine Dauerfolter schlimmsten Ausmaßes.
Kaum bin ich in Vezzan, kann ich endlich abfahren. Hier staut es nicht. Obwohl sich der Verkehr in meine Richtung verdichtet.
Kaum stehe ich vor dem schönen Hotel, das sich mitten in der Apfelplantage befindet, empfängt mich schon Leo. Das Hotel scheint gut zu laufen. Leo steigt gerade aus einem recht beachtlichen Benz. Agnes sehe ich durch das Küchenfenster. Sie winkt mir zu.
Das kurze Gespräch findet in der Bar bei Kaffee und einem frischen Brötchen statt. Kaum reden wir zusammen fünf Minuten, kommen schon die ersten Neugierigen. Deutsche Gäste, die mit einem Bus angereist waren.
„Das ist unser Hauptgeschäft“, trällert Leo.
„Wir benötigen einen Koch, der das beherrscht.“
Offensichtlich hat Leo meine Unterlagen gut verstanden. Das berüchtigte Stoßgeschäft ist praktisch meine Leidenschaft. Ich verliere eben nicht die Nerven. Manchmal schon. Vor allem, wenn ich es mit extremer Dummheit oder Faulheit zu tun habe.
Das ist in unserem Gewerbe keine Seltenheit. Es gibt viele Kollegen, die ihre Arbeit gern auf andere Kollegen abwälzen. In den Kreisen wird einfach etwas langsamer gelaufen und sehr selten das Gehirn benutzt. Eigentlich sind das Kollegen, die in Beamtenstuben besser aufgehoben wären. Unser Beruf wird eben größtenteils mit den Beinen, Händen und Kopf ausgeübt. Das nennt sich Handwerk.
Die Küche – was soll ich sagen, ist älter als alt. Ziemlich ungepflegt zu dem. Kein Wunder. Die Zwei stehen von Früh bis in die Nacht in diesem Bau. Unterbrochen wird ihre Tätigkeit am Gast nur von Einkauf und Abrechnungen. Und wie wir unsere Gäste kennen, lassen die uns keine fünf Minuten allein. Keine Frage ist zu dusslig, um nicht gestellt zu werden.
Die aktuelle Belästigung will wissen, wo hier der nächste Geldautomat ist. Leo überlegt. Agnes weiß die Antwort und hilft.
„Knappe zwei Kilometer in Richtung Ortsmitte.“
Offensichtlich ist das schon zu weit. Das Gesicht der Dame lässt das vermuten.
„Ich fahre in zehn Minuten einkaufen. Sie können mitfahren“, sagt Agnes.
Es wird nicht lange dauern und ihr Auto sitzt voller Passagierinnen. Einkauf ist eine Art Wecksignal in weiblichen Ohren. Keine überhört das. Auch nicht durch meterdicke Mauern. Agnes wird ganz sicher für etwas längere Zeit weg bleiben, denke ich mir.
„Kannst du gleich anfangen?“
„Ja. Ich muss nur Joana anrufen.“
„Uns ist der Koch samt Beikoch weg geblieben.“
Also doch. Eine Notsituation. Aber die Entschuldigung hörte ich schon ziemlich oft. Die hat sich im Nachhinein oft als Lüge heraus gestellt. Man wollte mit mir einen erstrittenen Urlaub überbrücken.
„Die Köche sind nicht zufällig im Urlaub?“
Leo lacht.
„Ganz sicher nicht. Der arbeitet jetzt in einem Konkurrenzbetrieb.“
„Also, wurde er abgeworben.“
„Ja.“
„Sehr viele Freunde scheinen sie nicht zu haben unter ihren Kollegen.“
Leo beantwortet das nicht.
„Die Gäste bekommen heute ein Menü. Drei Gänge und einen Salatteller.“
Endlich mal ein Salatteller, denke ich mir. Leo hat das schon begriffen, wie sich billig – reisende, deutsche Gäste an Buffets schadlos halten. Würden wir das Buffet nicht farblich markieren, wären selbst die Tischplatten und das Geschirr in Gefahr. Ich weiß nicht, mit welchen Taschen die unterwegs sind. Klein sind die sicher nicht.
Bei Agnes bemerke ich noch eine Überraschung. Sie legt selbst das Frühstück auf einen Teller pro Person. Portioniert. Die Brötchen werden in einem Körbchen angeboten. Ein Bäckerbrötchen, vor allem ein Vinschgerle, kostet hier immerhin den Preis von zwei Ein – Kilo – Broten der DDR. Deswegen werden wir hier auch etwas schneller satt. Es sei denn, das kostet nichts.
Unseren Gästen ist das egal. Die essen nach ihren Gewohnheiten. Und die werden von Aldi und Lidl, zu Hause, bestens bedient.
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