
Aus Neugierde bin ich nicht in die Zimmerstunde gegangen. Ich spaziere noch über unseren Parkplatz und genieße den Blick ins untere Martelltal. Agnes kommt gerade. Sie fährt mit einem anderen Auto. Nicht mit dem großen Benz. In der Schule, in der sie arbeitet, sähe das sicher nicht gut aus. Und dann der Einkauf. Der hinterlässt bisweilen auch Spuren im Polster des Autos.
„Helfe mir mal bitte beim Ausräumen.“
Fleisch, Gemüse, Salat und Kartoffeln, alles ist dabei.
Bei uns gibt es heute Geselchtes. In Südtirol wird das eigentlich im Herbst gegessen. Für unsere Gäste verwandeln wir das Frühjahr in den Herbst. Von den Temperaturen her passt das. Es ist nicht besonders warm. Bei vielen Neuankünften möchte ich auch gern Sortimente verwenden, die ich problemlos weiter verarbeiten kann. Geselchtes ist, wenn ich es pochiere, Prager Schinken. Und den benötige ich für das Frühstück. Oft spare ich mir sogar das Pochieren. Weil unser Geselchtes sehr oft zu heiß geräuchert wird. Und dann ist es schon Schinken. In dem Fall, muss ich es nur erwärmen oder kalt aufschneiden.
„Ich muss heute zum Doktor“, sagt mir Claudia im Gehen.
„Bist du krank?“
„Nein.“
„Melde dich bitte bei Agnes ab. Sie bezahlt dir deinen Lohn. Kommst du heute Abend?“
„Ich versuche es.“
Das klingt so, als würde ich heute Abend allein da stehen. Claudia hat wahrscheinlich heute einen Ausgang verabredet. Sie hat den halben Vormittag telefoniert.
Der Salat ist aber fertig. Nur nicht auf dem Teller. Wir legen Salatteller. Das kann ich abends schnell nachholen. Wegen der Busse, haben wir uns entschieden, Salate nur noch portioniert zu servieren. Offensichtlich verwechseln unsere Gäste das Salatbuffet mit der Tafel in Deutschland. Salat scheint zur Hauptspeise zu werden. Die Hauptspeise wird neuerdings sogar eingepackt. Unsere Gäste scheinen sich für ihren Umgang mit dem Besteck zu schämen. So, wie unsere Tische nach der Mahlzeit aussehen, beherrscht Keiner mehr das Besteck. Vielleicht sollten wir es mal mit Stäbchen probieren? Oder mit Löffeln.
Leo deckt das aber mit ein.
Leo kommt in die Küche. Sein Gesicht verrät nichts Gutes.
„Wir sind gekündigt worden.“
Mir fällt fast das Weißkraut aus der Hand.
„Was ist passiert?“
„Wir zahlen hier monatlich rund fünfzehn Tausend Miete.“
„Habt ihr nicht bezahlt?“
„Doch. Wir zahlen an eine Bank in Österreich.“
Wir bemerken in dem Zusammenhang, Gesetze scheinen nicht zu zählen in diesen Kreisen. Klagen dagegen, sind zu teuer und zeitaufwendig. Nachgeben scheint hier die Lösung zu sein. Offensichtlich streiten sich hier mehrere Parteien. Ein Ausweg scheint nur im Verfall des Anwesens zu bestehen. Das ist wahrer Umweltschutz.
Die Zwei möchten mich bei ihrer Suche nach einem neuen Objekt gern mit nehmen. Einen solchen Lohnausfall kann ich leider nicht verkraften. Wir müssen jeden Monat einen Tausender drücken. Und der kommt nicht vom Himmel gefallen. Die Zwei versprechen mir, sich um mich zu kümmern. Die Frage ist ernst für meine Familie. Auch, wenn wir nur Zwei sind. Wir leben unter gewissen Einschränkungen, die wir meiner defensiven Haltung gegenüber Ämtern zu verdanken haben. Ich möchte als Migrant nicht permanent vor irgendeinem Amt die Innenseite meiner Unterhose zeigen. Wir sind das einfach nicht gewohnt. Zum Glück können wir wenigstens mit Geld umgehen.
