Auf die Frage, ob Charlo eine Betäubung wünscht, antwortet er mit nein. Die Sanitäter vom Rettungsteam sehen das auch so.
Früher hatte Charlo schon mal einen Unfall. Er ist auf eine geschlossene Plastikflasche gefahren. Die haben, vor der Ampel wartende Autofahrer im Stau, aus dem Fenster geschmissen. In der Dämmerung hat er die nicht gesehen. Der Notarzt hat ihm eine Portion Valium verpasst, die Charlo erst sieben Tage nach dem Sturz aufwecken ließ. Sein Schlüsselbein ist in der Zeit falsch zusammen gewachsen. Übereinander. Damit war schon mal Schluss mit seiner Reckenschulter. Die drei Zentimeter fehlen jetzt an der Schulterbreite. Einseitig. Er fragt sich, ob er jetzt ein Krüppel ist. Die Frauen werden ihm jetzt nicht mehr nachschauen am Strand. Bei der Frage, wann er überhaupt mal einen Strand zu Gesicht bekommt, hat er den Gedanken verworfen. Charlo arbeitet tagsüber als Koch und abends als Pizzaiolo. Freizeit ist ihm ein Fremdwort. Und wenn er schon einmal frei hat, fährt er eine Giro durch die schönen Berge Norditaliens. Er kennt jeden Pass. Schon bevor die ersten Touristen erscheinen, hat er die Pässe befahren.
Im Krankenhaus angekommen, steht ihm eine Qual der besonderen Art bevor. Keine der Schwestern oder Hilfen lockert die Riemen, mit denen er an das Brett gefesselt ist. Er liegt geschlagene sechs Stunden auf dem Brett. Das Steißbein als auch das Rückgrat samt Becken, machen sich mit einem unglaublichen Schmerz bemerkbar. Nicht ein bisschen. Auch nicht gelegentlich. Er kann sich nicht drehen. Nicht bewegen. Folter. Schwere Folter. Soll das der Preis sein für die Feststellung: Das Rückgrat hat keinen Schaden genommen?
„Hallo!“, ruft er mehrmals laut. Er flucht vor Schmerz. Keine Bewegung ist möglich. Eine Hand hat er etwas frei bekommen. Mit der versucht er, den Klettverschluss der Brust zu lösen. Vergebens. Eine Schwester hat ihn gehört. Sie zieht den Gurt wieder fest.
(„Cara sorella. Vorrei un po‘ più di libertà di movimento. Mi fa male la schiena.“)
„Io wolio prego poco libero per mio Gambe.“
Fehlanzeige. Das müsste so bleiben bis zum Röntgen. In der Aufregung bringt Charlo kein Wort Italienisch zustande; geschweige Englisch. Der Mund klebt. Kein Wort kann verstanden werden. An der Reaktion merkt die schöne arabische Schwester, Charlo möchte etwas mehr Beinfreiheit. Sie lockert den Riemen. Endlich. Die Erlösung. Charlo stellt gleich sein Bein auf. Endlich kommt Luft an die Unterschenkel. Zwischen die Beine. Kühle Luft.
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