Der Saisonkoch-Winter-2


Heute koche ich:

Salatteller

Lasagne al forno

Gefüllte Truthahnbrust, Rosmarinkartoffel, Erbsengemüse

Kirschjoghurt

Es kommen schon ein paar Kollegen und fragen mich, was es heute gibt.

Die Truthahnbrust fülle ich mit Knödelbrot, Rotwein, Ei, Rosinen und Rosmarin. Die pochiere ich im Ofen bei siebzig Grad. Für die Rosmarinkartoffeln nehme ich die Wedges aus der Gefrierzelle. Für das Ragout der Lasagne muss ich erst mal ein paar Fleischstücke auftauen. Das mach ich gleich bei den siebzig Grad mit. Auch die gefrorenen Teigplatten für die Lasagne lege ich gleich mit rein in den Dämpfer. Für die Bechamel koche ich ein dickes, gut gewürztes Gulli und strecke das nach dem Kochen mit Sahne. In den Naturjoghurt rühre ich gefrorene Kirschen und Zucker ein. Zu Mittag ist der fertig.

Joana geht inzwischen Etwas einkaufen. Ein freier Tag in Warteposition. Sie muss sechs Stunden auf mich warten. Es gibt wirklich schönere Beschäftigungen als dort auf mich zu warten. Inzwischen kommt Rolfo und ich stelle ihm Joana vor. Sie trinken einen Kaffee zusammen.

„Joana, willst Du nicht nach Hause fahren?“

„Ja. Ich fahre jetzt. Ich hol Dich dann ab.“

Die Essensausgabe geht recht flüssig. Ich habe heute um die dreißig Gäste. Lasagne musste ich eher Aus sagen. Einige meiner Gäste haben das als Hauptgericht verlangt. Das habe ich nicht berücksichtigt. Einige Gäste fragen nach Suppe. Ab morgen muss ich ihnen eine Suppe mit anbieten.

Rolfo fragt mich, ob ich Pizza haben möchte. Ich frage ihn, ob er mir zwei macht.

„Joana hat heute frei und wir sind zu Hause.“

„Natürlich. Schönen Feierabend.“

Er sagt das mit einem verschmitzten Lächeln. Wohl in der Anspielung auf meine schöne Joana.

„Deine Frau ist wunderschön. Die passt gar nicht zu Dir.“

„Aber zu Dir?“

„Meine Frau kommt morgen einkaufen.“

Jetzt gehen wir schon die Frauen vergleichen. Was ist das für eine Welt?

Joana kommt pünktlich.

„Bist Du schon fertig?“

„Nein. Wir müssen noch die Bestellungen aufgeben.“

Rolfo steht mit dem Zettel. Ich diktiere ihm meinen Bedarf. Der Chef kommt und holt den Zettel ab. Nebenbei stellt er mir die Chefin vor. Sie faxt die Bestellungen heute noch weg.

Wir verabschieden uns. Ich sage ihnen, dass ich morgen früh raus muss.

Rolfo gibt mir die zwei Pizza mit. „Personalessen“, sagt er zum Chef. Der Chef nickt und verabschiedet sich.

Bei unserer Heimfahrt müssen wir einen kleinen Umweg durch Naturns fahren. Der Tunnel ist gesperrt. Ein Unfall. In Naturns ist demzufolge auch ein zäher Stau. Wir verlieren eine Stunde.

Zu Hause schauen wir uns einen Film an und essen dabei unsere Pizza. Und schon sind wir wieder müde.

Tag 55

Wie gewohnt, stehen wir um Vier auf. Ich muss Joana noch auf Arbeit bringen. Wenn ich etwas Glück habe, ergibt sich noch mal eine kleine Ruhepause im Bett. Joana hat uns beim Einkauf einen kleinen Rührkuchen mit Schokoladenüberzug mitgebracht. Den essen wir zusammen auf. Es bleibt nichts übrig. Uns fällt gerade auf, dass die Schokoglasuren auf den Kuchen auch immer dünner werden. Wir lästern darüber, wie die Westnachrichten darüber berichtet hätten, wenn das in der DDR passiert wäre. Nebenbei gesagt, erreicht der Westrührkuchen bei Weitem nicht die Qualität eines DDR – Rührkuchens. Und das trotz angeblichem Überfluss an Rohstoffen. Von Rosinen und Mandeln wollen wir gar nicht erst anfangen. Offensichtlich gibt es das nur im Überfluss, weil sie davon nichts benutzen. Aus Geiz und Profitsucht.

Zu diversen Feiertagen bekamen die DDR – Bürger, Besuch von ihrer Westverwandtschaft. Die brachten Taschen voller subventioniertem, billigsten Westkram mit. Die Annahme dieses Abfalls mit geheucheltem Lächeln, musste teilweise erst einstudiert werden. Wehe, man zeigte sich nicht dankbar. Die wären glatt nie wieder gekommen und hätten sich in Ungarn billigst durchgefressen. Heute, nachdem wir diesen Verbrechern die Reparationen bezahlt haben, fressen die uns die Rosinen aus dem Kuchen. Muss man sich heute Alles selbst herstellen? Können die vergeizten Verbrecher überhaupt noch etwas Anständiges, Brauchbares herstellen? Wir bezweifeln das.

In der DDR war früher Aal sehr gefragt und eine Bückdichware. Mit Glück, bekam Unsereiner den im Jahr, zwei bis drei Mal zu essen. Als Koch, wohlgemerkt. Soll ich ehrlich sein? Dreißig Jahre lang, habe ich den im Westen nicht zu Gesicht bekommen, geschweige, in den Mund. Und wenn, dann war dieser überteuerte Müll, verdorben! Verdorben in einer Verpackung, die drei bis vier Mal umdatiert wurde. In der DDR wäre dieser Verkäufer im Gefängnis gelandet und seine Gewerbeerlaubnis los. Heute würde der Rente als politisch Verfolgter kassieren von seinen Mitverbrechern.

Joana unterbricht mich bei meinen philosophischen Ausschweifungen. „Wir müssen los!“

Donnerstags ist allgemein viel Lastverkehr. Schon mit der Ankunft an unserer Hauptstraße dürfen wir das registrieren. Neuerdings lesen wir Nummernschilder aus Bulgarien und Slowenien. Wenn das so weiter geht, müssen wir uns an irakische und afghanische Nummernschilder gewöhnen. Die Fahrer kommen bereits von dort.

4.Korrekturlesen Saisonkoch – 2 – Winter


Tag 49

Uschi geht zur Arbeit und weckt uns mit Espresso. Caio kocht uns gleich zwei, drei nach, weil er bemerkt, den saufen wir wie Kühe. Caio spricht so gut wie kein Deutsch und wir, leider, etwas wenig Italienisch. Ich dachte, dass uns die paar Brocken reichen, die wir so in Südtirol aufschnappen. Aber Caio erwartet etwas mehr. Er will mit uns viel reden.

Nach dem Kaffee führt uns Caio durch Mailand. Teilweise fahren wir mit dem Auto. Zuerst schauen wir den Dom an. Danach zeigt uns Caio Häuser von bekannten Persönlichkeiten der Modewelt und Industrie.

Langsam wird es Zeit und wir suchen uns einen Imbiss. Die Lauferei macht hungrig. Wir gehen in die große Markthalle am Dom. Caio bestellt sich einen Espresso. Ich muss lachen, weil er zu Hause keinen getrunken hat. Nun sind wir DDR – Bürger etwas lockerer und ich bestelle mir ein Bier. Caio schaut mich schon skeptisch an. Ich glaube auch zu sehen, dass er mir davon abraten wollte. Essen will er mit uns Anderswo. Das Bier kommt und die Bedienung verlangt von mir sage und schreibe, vierzehn Euro für ein Drittel Liter Bier. Ui, dachte ich. Besaufen kann ich mich hier nicht. Dagegen ist die Festwiese in München ein Billigshop. An unserem Nachbartisch wird das Viertel Vino getrunken. Und das war recht preiswert dagegen. Ich habe wahrscheinlich das falsche Getränk bestellt. Das Treiben in der Markthalle ist aufregend. Caio sagt, dahinter wäre die Borsa, also die Börse. Außerdem sehe ich gut besuchte Wettstände und Lottoannahmestellen. Wir gehen vor die Markthalle und sehen eine lange Schlange wie vor dem Leninmausoleum auf dem Roten Platz. „Das ist die Mailänder Scala“, sagt Caio.

„Können wir da auch rein?“

„Possiamo anche entrare?“

„No. Molto expensive for you!“

Caio mischt für mich manchmal etwas Englisch mit rein. Er glaubt, das verstehe ich eher.

„Quanto costa un biglietto?“

Jetzt staunt Caio. Wahrscheinlich, weil ich schon einige Brocken italienisch kann.

„Non puoi entrare lì. Ci sono solo carte nere.“

Etwas kann ich mir zurecht übersetzen. Es gibt nur schwarze Karten. Du kommst dort nicht rein.

Ich verstehe. Das ist sicher ausgebucht durch Reisegruppen. So dringend ist mir das nicht und Joana sicher auch nicht. Die Führung macht uns ziemlich müde. Caio merkt das und führt uns in ein Cafe. Dort bieten sie auch Filterkaffee, meint er. Den probiere ich. Scheußlich. Also, bleiben wir lieber bei den regionalen Sorten und Gewohnheiten. Die schmecken immerhin vorzüglich. Caio führt uns noch zur Festung. Im Inneren des Castello Sforzesco ist es angenehm. Es gibt etwas Grün und auch weniger Leute. Durch die Museumsräume wollen wir nicht. Caio ist darüber etwas enttäuscht. Wir sind keine Anhänger solcher Ausstellungen. Ich verabscheue es, den Reichtum anderer Leute anzuschauen und zu bewundern. Das wäre, als würde ich Dieben und Massenmördern für ihre Taten samt Beute gratulieren. Das Schlimmste ist, dass sie noch die Dreistigkeit besitzen, dafür ein Eintrittsgeld zu verlangen. Gerade die deutschen Faschisten und ihre Nachfolger sind dafür bekannt, auf diese Art, Geschäfte mit ihrem Raubgut zu machen. Auf der einen Seite beklauen sie die überfallenen Nationen und auf der anderen Seite, stechen sie deren Nachkommen in Deutschland auf der Straße ab.

Caio drängt uns jetzt etwas. Wir wollen Uschi von Arbeit abholen. Wir fahren etwas die Straße hinauf, die wir gekommen sind. Die Via Monza. Auf der Straße ist jetzt erheblich mehr los als zu der Zeit, zu der wir gekommen sind. Linker Hand sehen wir, kilometerlang, hunderte Frauen und Männer verschiedener Nationen stehen. Caio sagt, das wäre der größte Puff Mailands. Die rechte Spur der dreispurigen Straße bewegt sich auch nur in Schrittgeschwindigkeit mit häufigen Stopps.

„Ich dachte, Ihr seid alle katholisch.“ Joana lacht laut. Caio hat das verstanden und lacht mit. „Uschi ist schon weg“, sagt er. An der Fassade des Hauses sehe ich die Werbung einer deutschen Firma. Einer Kriegsverbrecherfirma aus dem Westen. Uschi arbeitet da als Dolmetscherin wie ihre Kolleginnen. Sie übersetzen die Geschäftskommunikation.

Nachdem wir Uschi nicht getroffen haben, machen wir uns auf den Nachhauseweg. Jetzt lernen wir den Feierabendverkehr Mailands kennen. Das erste Mal in meinem Leben, habe ich die vielen Tonarten der Autohupen kennen gelernt. Man bekommt den Eindruck, jeden Monat wird ein neues Modell verbaut. Ein Komponist könnte daraus locker eine Sinfonie über vier Oktaven komponieren.

Uschi ist nicht zu Hause. Sie ist Einkaufen. Wir schauen noch mal zu unserem Auto. Es steht unbeschädigt da. So, wie ich es verstanden habe, meint Caio, werden tagsüber die meisten Autos geklaut. Das scheint Niemandem aufzufallen in der Umgebung. Uschi übersetzt etwas, nachdem sie vom Einkaufen zurück kommt. Sie sagt, die Diebe würden die Fahrzeuge mehrere Tage überwachen. Wenn sie nicht bewegt werden, sind sie damit reif für einen Besitzerwechsel. Ein sehr soziales System, finde ich. Wir überlegen, ob wir heute zu Hause essen oder Ausgehen. Uschi hat Fisch mitgebracht. Wir kochen und essen zu Hause. Mit Fisch meint Uschi natürlich Frutti die mare. Caio öffnet teuren Prosecco. Wir stoßen zusammen an und freuen uns, endlich mal Zeit für das Kennenlernen von Mailand zu haben. Morgen will uns Caio mal ins San Siro Stadion und auf die Pferderennbahn führen. Das Stadion nennt sich jetzt Meazza. Im Volk scheint es immer noch San Siro genannt zu werden.

Der Saisonkoch – Wintersaison 2 redigiert


Leseprobe Der Saisonkoch-Wintersaison 2


Alfred sagt mir, ich solle heute vorsichtig fahren, Marlies schließt sich dem Wunsch umgehend an. Die Zwei sollen Recht behalten. Schon bei der Ausfahrt stehen die ersten zwei vollgepackten Touristenkisten ineinander verhakt vor mir. Kaum bin ich auf der Hautstraße, rutscht mir ein Norddeutscher aus der Nebenstraße ins Auto.

„Ich konnte das Auto nicht halten. Entschuldigung!“

„Darf ich eher davon ausgehen, dass sie nicht fahren können?“

Seine Beifahrerin sitzt noch in dem Kasten und hält sich das Gesicht zu. SUV mit Allradantrieb. ‚Mein Kotflügel ist im Arsch‘, denk ich mir. Ich probiere, ob er am Reifen schleift. Es geht.

„Kostet zwei Mille!“, sag ich dem Unfallfahrer.

„Macht meine Versicherung!“, ist die Antwort, die ich bei diesem Volk auch erwartet habe.

„Und ich finanziere ihnen das vor? Ich zahle das Leihauto, die Werkstatt und warte, ob das ihrer Versicherung gefällt?“

„So hab ich mir das gedacht.“

„Ich möchte den Schaden bitte sofort bezahlt haben! Wie sie das mit ihrer Versicherung abrechnen, ist ihre Sache. Wir gehen zu Alfred ins Hotel und klären das dort.“

Alfred sitzt noch beim Kaffee. Er ruft als Erstes den Ortsgendarm. Inzwischen rufe ich Ruth an und berichte ihr von meinem Unfall. Ruth zischt vor Wut. „Wann kommst Du in etwa?“

„Das Auto fährt noch. Nur der Trabi – Kotflügel ist geknickt und dadurch etwas angerissen.“

„Also bis dann!“

Der Gendarm kommt sofort, nimm Alles auf und schreibt das Protokoll. Wir schrieben ins Protokoll meine Forderung einer Teilanzahlung des Schadens. Ich könnte sonst nicht meiner Arbeit nachgehen. Der Norddeutsche erklärt sich bereit. Er gibt Alfred die Karte, um tausend Euro abzubuchen. Die erste Karte nimmt der Kartenleser nicht an und prompt kommt eine andere. In Gold.

„Da kannste ooch glei Fünftausend abbuchen mit Schmerzgeld“ (da kannst du auch gleich 5000 mit Schmerzensgeld abbuchen) , sage ich zu Alfred. Der Norddeutsche hustet. Seine Begleitung glüht knallrot vor Wut. Ich dachte, sie frisst vor Wut ihren falschen Zobelkragen. An dem knabbert sie schon die ganze Zeit herum.

Joana kommt, ruft Markus, unseren Autohändler an und bestellt den neuen Kotflügel. Sie fragt, was der kostet mit Einbau und Teillackierung. „Rund drei Mille“, hat er gesagt. „Wann ist der da?“

„In ’ner Woche.“

„Alles klar. Mach uns bitte ’nen Termin.“

Wie sagt man so schön? Den freien Tag verbringen wir entweder beim Arzt oder in der Werkstatt. Freizeit ist Mangelware in unseren Kreisen.

Alfred sagt mir, der Unfallverursacher hat Tausend fünfhundert Euro rein gedrückt. Offensichtlich hat er Mitleid mit mir. Alfred drückt mir gleich die Scheine in die Hand. Den Unfallbericht für unsere Versicherung, die mit seiner Versicherung abrechnet, hat mir Alfred kopiert. „Die Durchschläge sind nicht sicher“, sagt er mir dazu. „Du kennst Dich gut aus!“, antworte ich ihm. „In Touristenhochburgen gehört das zum Tagesgeschäft. “ Er lacht. Ich gebe Joana das Geld mit. Wenn mir unterwegs noch etwas passiert, kommt das sicher weg. Ich laufe zu unseren Autos und fotografiere das Ganze noch mehrmals. Vor allem, mit sämtlichen Verkehrsschildern und Bremswegen. Nach der Feststellung, fahre ich nun endlich los zu meiner Arbeit. Inzwischen haben sich ein paar Schaulustige eingefunden, die rege den Unfallhergang diskutieren.

Witzigerweise brennt das Licht noch. Die Motorhaube sitzt fest aber nicht an ihrem ursprünglichen Fleck. Ich denke, mit den Nebenschäden, auch an den unentdeckten Stellen, wird das Ganze erheblich teurer. Die Bremsen funktionieren aber erst mal.

An der Schweizer Abfahrt vor Pfunds steht eine Autoschlange. Nicht in Richtung Schweiz, sondern in Richtung Pfunds. Es könnte sein, die wollen auch in Richtung Samnaun. Es sind italienische Nummern dabei. Auch in der Einfahrt Samnaun steht Alles. Wahrscheinlich wollen Viele noch mal Etwas einkaufen auf dem Nachhauseweg.

Der Verkehr läuft zähfließend. Aber er steht nicht. Nach einer knappen Stunde habe ich die Wahl, durch den Tunnel oder durch die Stadt Landeck zu fahren. Die Stadt hat gewonnen. Den Schleichweg muss ich heute nicht nutzen. Bereits am Stadtausgang sehe ich einen Stau. Den Stau kenne ich mittlerweile. Der ist dort jeden Tag. Das hängt mit der Autobahnauffahrt zusammen. Die Landecker werden diese Straße hassen. Ihnen geht es wie uns.

An der Abfahrt Paznauntal stehen wieder die Gendarmen. Die haben gerade ein paar Autos in der Mache. Bei den fälligen Ordnungsgeldern müssen die Gendarmen öfter arbeiten als unsere Polizia Stradale. Ein Ordnungsgeld bei uns, bringt leicht das Zehnfache. Ein Gendarm erkennt mich, grüßt und winkt mich an dem Stau vorbei. Dem hat sicher mein Essen beim Wolfgang geschmeckt. Ich bedanke mich artig, grüße zurück und kann mich in die Schlange in Richtung Paznauntal einordnen. Das spart mir schon mal zehn Minuten. Bekanntlich, haben Urlauber keine Zeit. Bis zum Wolfgang allein, brauche ich eine Stunde. Maria steht nicht draußen. Ich halte nicht an. Von dort nach Galtür, benötige ich noch mal eine Stunde. Das Frühstück ist damit verpasst. Ich freue mich schon auf den Frühstückskaffee.

Tag 89


Tag 89

Ich stehe mit Joana zusammen auf. Die übliche Prozedur beginnt, die bei diesem Anlass fällig ist. Joana ist im Bad und ich mache den Kaffee. Der ist für mich und meinen Arbeitsweg. Nach Joana bin ich im Bad dran. Joana trinkt inzwischen schon eine Tasse vom Kaffee. Sie bleibt nicht so lange bei Marlies.

Ich muss um Sieben anfangen. Bei einer und einer halben Stunde Fahrzeit, muss ich spätestens halb Sechs aus dem Haus sein. Zu der Zeit ist es besser, ich gebe fünfzehn Minuten zu. Ab Schlanders wird sich schon reichlich Berufsverkehr bewegen. Außerdem komme ich zu einer Zeit in Lana an, zu der schon recht viel Betrieb herrscht. Eigentlich könnte ich aufs Motorrad umsteigen. Das ist mir aber heute etwas zu riskant.

Bei Marlies werde ich der gewohnten Fragestunde unterzogen. Dursun und Alfred sind dabei. Zu viel Zeit habe ich nicht. Meine Antworten fallen etwas kurz aus. Alle wünschen mir eine gute Fahrt und das Übliche: fahr vorsichtig.

Zum Glück habe ich schon getankt. Gestern. Heute früh würde das Nichts werden. Die Straße ist hier Oben gut. Bis Schluderns bin ich fast der Einzige auf der Straße. In Richtung Müstair sind ein paar Südtiroler unterwegs. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Fünf-Tage-Woche und neun Stunden Arbeit mit Pause. Und das für einen recht guten Lohn. Jaja. Die Arbeitsmigranten.

Wie geahnt, wird die Straße ab Schlanders etwas belebter. Trotzdem schaffe ich es bis nach Hause in fünfzig Minuten. In die Wohnung gehen, umziehen und auf das Motorrad steigen, dauert etwa zehn Minuten. Ich mache es nicht so.

Mit dem Motorrad brauche ich zwanzig Minuten bis zum Altenheim. Jetzt habe ich noch fünfundzwanzig. Im Arbeiterverkehr dürfte das reichen. Der ist etwas zügiger unterwegs als der Liefer- und Touristenverkehr.

Bis ich Lana ganz Oben erreicht habe, bekomme ich schon fast einen Drehwurm. Joana mag diese vielen Serbentinen auch nicht. Ihr wird schlecht, wenn ich die zu zügig fahre. Im Ulten selbst, ist die Straße auch stark drehend. Gut, dass ich das nicht täglich fahren muss.

Ich komme pünktlich an. Die Schwestern stehen schon in der Küche und arbeiten am Frühstück. Im Speiseraum sitzt noch kein Senior.

„Guten Morgen. Eier sind noch zu kochen und vielleicht eine Suppe“, ist meine Begrüßung.

„Was hattet Ihr gestern für eine Suppe?“

„Keine.“

Ich stelle eine Ceranplatte an. Induktion gibt es keine. Im Topfregal finde ich einen Neun-Liter-Topf für die Suppe. Ich werde Haferflockensuppe kochen.

Die Eier gebe ich in den Dämpfer. „Zwei Paletten reichen“, sagt mir die Schwester.

„Nimmst Du keine Milch für die Haferflockensuppe?“ Schon haben wir die erste Frage. „Nein“, ist die passende Antwort. „Milch geht beim Kochen kaputt.“

Diskussionen in dem Punkt lehne ich ab. Das ist für mich einfach eine Tatsache.

Den Haferbrei koche ich in leicht gesalzenem Wasser. Ein paar Gewürze, wie Zitronenschale, etwas Vanille und Zucker gebe ich zu. Nachdem der Brei ziemlich bündig gekocht ist, gieße ich mit Milch und Sahne auf. Und die habe ich im Dämpfer erwärmt. Meine Kunden kommen. Nicht etwa zusammen; nein. Sie kommen in den Gruppen, die sich untereinander gut verstehen. Das ändert sich in Altenheimen ziemlich schnell. Zu Einem, gibt es die ewigen Abschiede und zum Anderen, gewisse Streitigkeiten. Im Alter wird man eben etwas kritischer und freier. Die unterdrückerischen Regeln und ihre Vollstrecker sind nicht mehr da. In Systemen, in denen Jeder auf sich gestellt ist, sind natürlich dann Reibereien zu erwarten, wenn plötzlich gesellschaftliche Anforderungen auftauchen. In Kindergärten, Schulen und Altenheimen können wir den gesellschaftlichen Zustand erkennen. Und wir sehen, Südtiroler sind Eigenbrötler. Das ist kein Vorteil und wirklich weit weg von Gesellschaft und Demokratie. Wehe, das sagt Jemand. Witzigerweise kann ich das im Altenheim diskutieren. Die Bewohner sind wesentlich erfahrener und ziemlich aufgeweckt.

Die Suppe kommt gut an. Einige fragen, ob Karl wieder da ist. Ein schöneres Kompliment kann ein Koch nicht bekommen. Ups, die Tür geht auf und eine alte Bekannte kommt in die Küche. Mein Mengele. Sie hat den Namen im Heim bekommen. Mengele ist eigentlich kein besonderes Lob; eher ein Spitzname mit dem Hinweis zu einem Mist- oder Kompoststreuer. Ich gehe davon aus, diesen Namen erhält ein armer, aber fleißiger Mensch. Und das Mengele ist fleißig. Auch arm. Und das gibt es ziemlich oft in Südtirol. Hier gibt es ja auch noch Knechte.

Nach dem Frühstück erfahre ich, was denn eigentlich so als Mittag geplant war. Zumindest will ich mir die Rohstoffe anschauen. So üppig ist es nicht. Putenbrust ist da. Kartoffeln, Reis und Spinat auch. Ich streiche durch die Regale. Gut. Grobes Polentamehl, Nudeln in allen Varianten, kaum Gemüsekonserven. Ein paar Pflaumen und, ich staune, eine gut gefüllte Gefrierzelle. Gut gefüllt heißt nicht ordentlich. Der gesamte Zustand der Küche ist nicht besonders ordentlich. Mich erinnert das an diverse Haushalte hierzulande. Die kann ich vielleicht mit DDR-Haushalten vergleichen. Es gibt aber einen Unterschied. In der DDR haben fast alle unsere Frauen ganztags gearbeitet. Zur Belohnung gab es einen Haushaltstag pro Monat. Wir fanden das etwas wenig. Darum haben Männer gern mit geholfen im Haushalt. Ganztagshausfrauen, wie im Westen, muss man nicht helfen. Dabei möchten wir bedenken, ein Zimmermädchen soll täglich zwölf bis fünfzehn Zimmer putzen und danach noch die Wäsche dieser Zimmer waschen und bügeln. Erst danach geht sie nach Hause, den Haushalt schmeißen. Wir sehen, Westhausfrauen sind irgendwie überflüssiger. Genau aus dem Grund, heiraten junge Westmänner mit Ansprüchen, ältere Westmänner mit Geld. Und das wird diese Damen zwingen, endlich mal zu arbeiten. Aber halt. Es gibt ja jetzt den Osten. Den besetzten mit den Untermenschen. Die können ja den Haushalt übernehmen. Das Deutsche Reich hat gewisse Traditionen bei den Beschäftigungsverhältnissen. Umweltfreundlich haben auch schon deren Eltern, die überflüssigen Hilfskräfte entsorgt. Ohne ihr Wissen, selbstverständlich. Sie haben nur den Sklavenlohn vom vergangenem Monat gespart. Heute sind sie einen Schritt weiter. Sie lassen sich KZ und Kost zusätzlich bezahlen. Die geleistete Arbeit reicht ihnen nicht.

Die Mägde und Knechte in Südtirol hatten es etwas besser. Unendlich Nachschub wie im Deutschen Reich gab es da nicht. Sie wurden deswegen nicht weniger ausgebeutet. Eine Magd konnte sich höchstens mit der Oberschenkelinnenseite etwas dazu verdienen. Bei ihrem Chef. Knechte hatten es nicht ganz so gut. Die mussten ihren Chefinnen gefallen. Damit wechselten sie nur das Sklavenverhältnis.

Genau das erzählen mir die Gesichter und Geschichten unserer Heimbewohner.

Das Erstaunlichste ist, die Heimbewohner liegen immer noch in ihren familiären Feten untereinander. Es geht um Wege, auch Wegerecht, um Grundstücke und gestohlenes Vieh. Es geht um nicht bezahlte Rechnungen, um falsche Hochzeiten und um massenhaft gebrochene Versprechen. Der Witz ist, es betrifft ausnahmslos die Klasse der Besitzenden. Mit Mägden und Knechten scheint man im Reinen. Sie dienen, bis sie in der Kiste liegen. Wir bekommen also im Kleinen gezeigt, welche Ursachen, Kriege haben und wer sie anstachelt. Und gleich mit bekommen wir bewiesen, wer die Kriege auszubaden hat. Der Knecht und die Magd.

Als Prolet zähle ich zur Knechtklasse. Man ist meine Ausbeutung gewohnt und dazu benimmt man sich sehr freundlich mir gegenüber. Witzigerweise nehmen die Ausbeuter, Proleten nicht für voll, wenn sie sich um Geld, Frauen und Besitz streiten. Ich darf Alles mithören, als wäre ich ein unsichtbares Gas. Ich werde selbst sogar um Rat gebeten. In zwei Fällen konnte ich den Streit sogar schlichten. Ohne jegliche Kenntnis der Zusammenhänge. Ich konnte nicht annähernd ahnen, dass Kommunisten die besseren Pfarrer sind.

Nach dem Essen und praktisch auch nach der Oberflächenreinigung der Küche, habe ich etwas Zeit, mit meinen Gästen zu reden. Nicht alle bleiben sitzen. Nur die Neugierigen. Sie fragen mich, wo ich zwischendurch gearbeitet habe. Nach meinen Erzählungen kamen Bestätigungen des Erzählten. Oft auch mit persönlichem Erleben verglichen. Alle meine Gesprächspartner kennen die Familien, bei denen ich arbeitete. Nicht selten bekomme ich Dinge erzählt, die meinen anfänglichen Respekt erheblich schrumpfen lassen. Nicht selten bekomme ich die wahren Eltern dieses oder jenes Chefs offenbart.

Langsam aber sicher komme ich zu der Erkenntnis, die Arbeit hier müsste eigentlich mit einem Geheimhaltungsschlüssel versehen werden. Die Einblicke in die Südtiroler Geschichte sind oft zu tief.

Fortsetzung folgt

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