Mira kommt kurz zu Marco. Sie sagt mir, Ahu gäbe Joana ab Mittag frei. Bis dahin hätten die das Gröbste geschafft. Sonntag hat bekommt Joana auch frei. Ein und ein halber Tag. Ich überlege mir, wir könnten entweder nach Hause oder nach München zu Joanas Schwester fahren. Der Besuch ist seit Langem überfällig. Samstags, ab Mittag, rechne ich eh mit wenig Verkehr in Richtung München. Sonntag Nachmittag dürften uns eher die Rückkehrer aus den Skigebieten entgegen kommen. Insgesamt sähe das Vorhaben günstig aus.
Auf dem Zimmer telefoniere ich mit Pia in München. Jonas ist am Telefon. Er sagt, an diesem Wochenende ist schon sein Bruder da mit seiner Frau. Es geht also nicht.
Was könnten wir sonst noch unternehmen? Wir könnten eine Nacht in Verona oder am Garda buchen. Uschi in Mailand bliebe noch. Ich warte, bis Joana kommt und frage sie. Mailand wird ihr sicher zu stressig sein. Obwohl; an Wochenenden ist es in der Stadt sehr ruhig. Außer vielleicht in den Fußballstadien. Zur Sicherheit rufe ich Uschi an. Die Rufumleitung arbeitet. Uschi sagt, sie wären Ski fahren am Wochenende. Sie sind im Piemont. Naja. Damit wäre die Frage für das Wochenende geklärt. Hotel oder Pension. Eine Fahrt ins Blaue, sozusagen. Ich wüsste jetzt nicht, welches Hotel ich buchen könnte.
Zur Mittagszeit gehe ich in den Personalraum. Alle sind da. Joana auch. Marco hat Hähnchenkeulen geschmort. Mit Wurzelgemüse und Tomatensauce.
„Hast Du Heimweh?“, frage ich ihn.
„Nichts ganz. Bei echtem Heimweh hätte ich Rotwein genommen.“
„Wir fahren nach Verona. Soll ich Dir etwas mitbringen?“
„Eine gute Salami.“
„Ich versuch mein Bestes. Milanese oder Ungarese?“
„Milanese prego.“
„Darf es auch Crespone, Veronesa dolce oder Sopressa sein?“
„Aber natürlich.“
„Ich liebe die grobe Salami und Sopressa. Du auch?“
„Da haben wir den gleichen Geschmack.“
Die Köche wieder. Feinschmecker von Beruf. Die grobe Salami erfordert etwas mehr Sorgfalt bei der Herstellung. Köche wissen das zu schätzen. Bisweilen mache ich zu Hause welche. Ich lasse sie meist über den Winter trocknen. Den Schinken auch. Da gibt es keine Fliegen und die Luft ist trockener. Milde Minusgrade schaden nicht. Ich nehme kein Pökelsalz. Dafür aber recht viele Gewürze. Der untere Vinschgau ist ein guter Fleck für die Herstellung von luftgetrocknetem Fleisch.
Es gibt einen feinen trockenen Luftzug. Ideal.
Marco lobt das Mikroklima des Vinschgau auch. Er würde sich am liebsten dort niederlassen.
Nach dem Essen entlässt Ahu, Joana. Sie wünscht uns einen schönen Ausflug. Ihre Kolleginnen auch. Sie schauen dabei aus, als wollten sie lieber an der Stelle Joanas sein. Irgendwie sehe ich so einen weichen, mitfühlenden Blick in ihren Augen.
Mittags brechen wir auf. Unser Gepäck ist praktisch schon gepackt als Saisonarbeiter. Wir können direkt nach Verona fahren. Umwege sind nicht nötig. Höchstens, auf dem Nachhauseweg.
Die Mädels gehen bei unserer Abreise vor die Tür und winken. Alfred kommt etwas später dazu, fragt die Mädels etwas und winkt auch mit.
Unser Gepäck passt wunderbar in meinen Motorradkoffer. Joanas Helm liegt seit Saisonbeginn auf unserem Personalzimmer. Die Winterkombi auch. Saisonarbeiter müssen an Alles denken bei ihrem Aufbruch. Und wir sind nun mal keine Skifahrer.
Am Reschen sind um die acht Grad. Zu Mittag. Im Vinschgau können wir zwölf bis fünfzehn Grad erwarten. Es gibt auch wärmere Flecken im Vinschgau. In Vezzan zum Beispiel. Mit dem Motorrad brauche wir bis Meran keine fünfzig Minuten. Zwei Carabinieri einer Streife winken uns begeistert zu. Motorradfahrer genießen in Italien wirklich noch eine Art, Bewunderung. Vorausgesetzt, sie benehmen sich im Verkehr. Auf der MEBO sind wir nicht die Einzigen, die Motorrad fahren. Den ganzen Winter haben wir auf den Gruß zwischen Motorradfahrern gewartet. Jetzt neige ich eher dazu, selbst Rollerfahrer zu grüßen. Fast schon übereifrig. Für mich sind Rollerfahrer, Motorradfahrer. In der Saison bekäme ich keine Hand an den Lenker, so oft müsste ich grüßen.
Schon sind wir an der Autobahnauffahrt. Im Motorrad habe ich auch Telepass. Meist nutze ich die Spur, die für Motorradfahrer vorgesehen ist. Dort funktioniert der Sender am besten. Immerhin befindet der sich in einer Plastikschachtel am Lenker. Ich habe das schon mit Tanktaschen und auch direkt am Mann probiert. Das funktioniert auch. Am besten funktioniert es aber mit dieser Plastikschachtel. Den Sender muss ich auf Parkplätzen oder in der Garage entfernen. Der ist immerhin ein begehrtes Diebesgut.
Mit jedem Kilometer in Richtung Süden wird es erheblich wärmer. Wir sind schon bei achtzehn Grad. Wir könnten fast schon Oberkörper frei fahren. Richtig warm wird es ab Affi. Ein Genuss. Dort kommen uns schon richtig große Gruppen von Motorradfahrern entgegen. Sie grüßen freundlich. Viele auch mit Lichthupe. Ich überlege, ob wir vielleicht noch eine kleine Runde fahren oder lieber in Verona spazieren gehen. Joana spricht sich für Verona aus.
Wir fahren bis an den Markt und suchen uns im Stadtinneren ein Hotel. Schon bei der zweiten Besichtigung, die erste war uns viel zu teuer, kommen wir zu einem Zimmer. Ohne Frühstück. Der Hotelier bietet im Winter kein Frühstück. Es ist Nebensaison. Er ließe uns aber eins schicken. Sicher eines von der Imbisskette. Uns ist das relativ gleich. Wir wissen, wie ein italienisches Frühstück aussieht. Im Grunde wollen wir eh nur Kaffee. Viel Kaffee. Alles andere interessiert uns nicht. Es sei denn, irgendein Gastgeber würde uns einen San Daniele oder Parma servieren. Damit rechnen wir natürlich nicht. Zumindest nicht bei einem Frühstück, das im Hotelpreis inkludiert ist.
Unweit des Hotels ist eine große, relativ bekannte Macelleria. Dort möchte ich für Marco die Salamispezialität holen. Bei den Auslagen kann ich schon sehen, billig wird das nicht. Handwerk kostet eben etwas mehr. Und für einen Freund wie Marco, ist mir gar nichts zu teuer. Ich lasse Joana aussuchen. Sie sucht ausgerechnet eine Salami mit einem relativ hohen Mageranteil.
„Marco möchte eine fette, grobe Salami.“
„Dann nehm Du eine für Marco und ich gebe die den Mädels.“
Offensichtlich lassen wir unseren letzten Lohn bei dem Metzger. Er gibt uns Rabatt. Viel Rabatt und er legt uns eine Spezialität seines Betriebes mit dazu. „Saldi invernali“, fügt er lächelnd dazu. Eigentlich fehlt nur noch eine Flasche Wein und der Geschenkkorb ist voll. Als hätte er meinen Wunsch gehört, kommt er mit einer Flasche Wein um die Ecke. „Da mio fratello della valpolicella“, sagt er uns. Wir bedanken uns recht herzlich. Beinahe hätte uns der Metzger noch in ein Cafe eingeladen. Kaum haben wir den Laden verlassen, zog er sich eine Jacke über und ging in die Bar gegenüber.
Unser Gepäck ist für einen Spaziergang zu schwer. Wir legen es im Hotel ab und gehen zusammen spazieren. Eine Wohltat im winterlichen Verona. Wir haben zwanzig Grad.
Langsam wird es Zeit, sich eine Pizzeria für das Abendbrot zu suchen. Restaurants können wir uns nicht leisten. Pasta haben wir die ganze Woche. Auch auf Arbeit. In der Fußgängerzone gibt es einen wunderbaren Grill. Mit Haxen, Rippelen und feinstem gegrilltem Panchetta. Die haben geschlossen. Eine Eisdiele hat offen. Wir essen ein Eis. Bei zwanzig Grad, gerade richtig. Alle Händler arbeiten mit einem Rabatt heute. Sogar der Eisverkäufer legt uns eine Extrakugel drauf.
In der Pizzeria verlangen wir eine Familienpizza. Die ist nicht preiswerter als zwei Pizzen. Sie ist aber doppelt so groß. Und das brauchen wir jetzt. Entsprechend unserer Tour heute, verlangen wir, Vier Jahreszeiten. Das Ding kommt. Ich schätze, es hat die gesamte Ofenbreite benötigt. Der Pizzaiolo serviert es selbst. Auf einem Brett, mit dem normalerweise Brunnen abgedeckt werden.
Seine Frau hat den Tisch von Allem befreit, was den Serviervorgang behindern könnte. Das Brett ist so groß wie die Tischfläche. Wir schaffen die Hälfte. Die andere Hälfte lassen wir uns einpacken. Für das Frühstück.
Unweit unseres Hotels, ist eine kleine Tankstelle. Tanken müssen wir nicht. Die Tankstelle hat aber etwas, das wir gern zum Frühstück hätten. Einen Kaffeeautomaten. Wir ziehen eine Probe. Das Zeug schmeckt. Es schmeckt sogar besser als aus manchem Restaurant. So einen Kaffee bekomme ich höchstens in guten alten Bars, in denen der Wirt noch den Kunden liebt. Zu unserer Pizza auf dem Zimmer, werden wir also Kaffee aus diesem Automaten holen. Wir nehmen dem Hotelier Einen mit. Er freut sich. Wie üblich, verstehe ich die Hälfte.
Das Zimmer ist sehr sauber. Auch das Bad. Im Fernseher läuft etwas Sport und viel Fußball. Also, lassen wir das und kümmern uns um den Urlaub. Und der sieht, in der Hoffnung, früh ausschlafen zu dürfen, köstlich aus. An Joana entdecke ich Kurven, die ich bis jetzt sehr selten sehen durfte.