Paula


Paula

Ein Saisonarbeiter in der Gastronomie trifft sehr viele verschiedene Menschen. Angefangen bei Kollegen und Unternehmern bis hin zu Gästen und Vermietern von Wohnungen und ihren Nachbarn. Wegen der extrem knappen Freizeit, ist der Bekanntenkreis eher etwas eingeschränkt und fast nur im Zusammenhang mit Arbeit zu finden.

Eine unserer Nachbarinnen durften wir nach dreijährigem, zeitweisen Aufenthalt in Südtirol kennen lernen. Paula.

Schon in meinem Tagebuch „Der Saisonkoch“ stellte ich sie uns vor.

Paula war anfangs für uns eine allein stehende Frau. Sie war uns eine Lehrerin für die Südtiroler Lebensart. Ruhig, neugierig und mitfühlend. Paula kontrollierte stets, wann wir auf Arbeit gingen und wann wir zurück kamen. Ihre Wohnungstür war sehr oft angelehnt und selten geschlossen.

Das Wesen von Paula war schwer zu erkunden. Sie konnte böse wirken aber auch extrem liebevoll. Uns fiel ihre Geschäftigkeit auf. Sie wollte genau wissen, wer in ihrer Nachbarschaft lebt.

Besucher, die während unserer Abwesenheit zu uns kamen, egal wer, konnte uns Paula genau beschreiben. Sie ersparte uns damit lange Recherchen.

Paula kümmerte sich liebevoll um ihre Mutter. Die Mutter war das ganze Gegenteil von Paula. Lebenslustig bis ins höchste Alter von fünfundneunzig Jahren. Und genau das bildete eine harmonische Lebensgemeinschaft von Mutter und Tochter.

Paula war eine typische Südtirolerin. Mutter. Alleinstehende Mutter.

Paula wurde in ihren letzten Tagen sehr krank. Sie wurde oft ins Krankenhaus gefahren. Ihre letzten Tage war sie zu Hause und wurde von ihren Schwestern und ihrem Sohn gepflegt.

Nach ihrem Tod bekam natürlich der Sohn die Wohnung. Das erlaubte ihm, seine Sozialwohnung aufzugeben. Irgendwie ist es das Werk Paulas, ihren Sohn aus dem Sozialdienst befreit zu haben. Nur wirklich gemeine Menschen unterstellen dem Sohn eine gewisse Kalkulation zu Gunsten seiner Gemütlichkeit.

Mit dem Wechsel der Wohnungsbesitzer wechseln natürlich auch die Nachbarschaftsbeziehungen.

Der Sohn Paulas ist mit einer Frau zusammen. Frau als Bezeichnung, ist jetzt etwas übertrieben. Allein die Laute dieser Kreatur erinnern irgendwie an Sirenengeräusche. Ich glaube fast, diesen Laut bisher nur Samstag gegen Zwölf gehört zu haben. Jetzt hören wir den Ton laufend.

Vor dem Einzug wurde die Wohnung natürlich restauriert. Und das war nicht nur teuer, sondern auch, wie soll ich sagen, ziemlich zeitaufwändig. Der Belästigungsgrad hielt sich aber in Grenzen. Mit dem Ende der Bautätigkeiten erhofften wir uns natürlich die altgewohnte Ruhe.

Das sollte sich als Trugschluss erweisen.

Zuerst dachten wir, die Türen sind falsch eingebaut worden. Sie klemmen. Bis auf anständige Türklinken, ist eigentlich Alles verbaut in diesen Brettern. Wir wissen natürlich nicht, wie der Umgang mit Türen in Sozialwohnungen ist. Die haben wir nie benötigt. Wir hätten eher im Zelt geschlafen als in so einer, die Gesellschaft belastenden Einrichtung. Nun wissen wir auch nicht, ob dort vielleicht die Türklinken abgebaut werden. Wegen Diebstahlsgefahr.

Auf alle Fälle wissen wir heute, wann die Furie das Loch verlässt und wann sie wieder kommt. Das ganze Haus spürt das an nachhaltigen Erschütterungen im Geschirrschrank.

Bei der Häufigkeit der Schläge, so um die vierzig pro Tag, ist natürlich von der gewohnten Mittagsruhe abzusehen.

Vielleicht müssen wir uns jetzt auch noch auf Hundegeschirr umstellen. Bis auf ein paar Dellen, wird dieses Geschirr, den neuen Umgang mit den neuen Türen und dem bisher Stand gehaltenem Mauerwerk, überstehen.

Die Nachhaltigkeit des Umgangs mit Türen ist schon mal gesichert. Die Furie darf Kinder erziehen.

Meinen Südtiroler Mitbürgern wünsche ich zukünftig gute Beziehungen zu Tür- und Türfutterherstellern.

Jetzt bliebe uns vielleicht noch, nachzudenken, wie wir mit einem Erziehungsprogramm helfen können.

Ich denke dabei an regelmäßiges Klingeln. In der Nacht. Vielleicht erreichen wir damit, dieser Kreatur den Wert von Ruhe zu vermitteln.

Wir reden immerhin von Südtiroler Ruhe.

Lebensarbeitszeit und Balkonruhe


Lebensarbeitszeit und Balkonruhe

Ich sitze mit meinem gebrochenen Bein gelegentlich auf dem Balkon. Sonne hilft bei der Heilung.

Vorbeigehende (vollgefressene) Touristen, sich auf Stöcken daher schleppend und bisweilen auch Mitbewohner und deren Besucher, fühlen sich angeregt, mich zu fragen, warum ich nicht arbeite.

Ich möchte das ganz kurz erklären:

Als Saisonkoch arbeitete ich dreißig Jahre in 90-Stunden-Woche. Ich werde gerade 65 in diesem Monat und freue mich zusammen mit meiner jüngeren Frau, an meinem Geburtstag auch die Silberhochzeit feiern zu dürfen. Das haben wir uns verdient.

Wenn ich von Arbeit rede, meine ich Arbeit und nicht das Faulenzen in irgendwelchen Absteigen, Fahrzeugen oder Bürosesseln. Der Büroschläfer benötigt im Vergleich zu meinen dreißig Jahren, genau sechzig Jahre, um nur annähernd die gleiche Zeit verbummelt zu haben. Damit wäre es wohl eher gerecht, diesen Schläfer mit achtzig zu pensionieren.

Meine Arbeit war die Zubereitung von Frühstück, danach Mittagessen, a la carte, Jausenbuffets und Abendmenüs. Wenn Sie gelegentlich nachschauen, wie lange Sie oder ihre „überdurchschnittlich fleißige Frau“, allein für das Aufwärmen eines Fertiggerichtes benötigen, können Sie vielleicht nachvollziehen, welche Leistung dahinter steckt im Falle von echtem Kochen und Backen. Und genau dann können Sie sich Gedanken dazu machen, was es bedeutet, zu Sechst in einer Gaststätte, achtzehn verschiedene Gerichte zu bestellen. Ihre überdurchschnittlich fleißige Frau mit dem großen Mund, würde dafür genau zwei Wochen benötigen. Und das in einer Küche, für die Sie heute noch Raten abdrücken:-))

Wenn Ihnen das bewusst ist, können Sie eventuell begreifen, warum ich Sie vom Balkon aus, laut auslache:-))

Fortsetzung Tag 76


Fortsetzung Tag 76

Eigentlich backe ich zum Tiramisu meinen eigenen Biskuit. Die Chefin wollte das nicht. Ich soll den fertigen Keks nehmen. Ich weiche die Biscotti in Kaffee ein. Und mache mich an die Creme. Normal müsste ich jetzt Ei trennen, das Eiweiß steif schlagen und Mascarpone unterziehen. Es gibt aber auch Methoden, die zwar nicht billiger sind aber etwas gebräuchlicher. Und eine davon nutze ich jetzt. Sagen wir dazu, alpine Version des Tiramisu. Ich schlage einfach unsere frische Alpensahne mit einer Prise Salz, Zucker, Vanillie und Zitronenabrieb cremesteif, ziehe da die Mascarpone unter und schlage das zusammen steif. Jetzt fehlt nur noch ein oder zwei Eigelb, pasta gialla, ein winziger Schuss Rum und schon steht vor mir ein Tiramisu-Männchen. Obwohl; jetzt, verspritzt in ein Schale, ähnelt die Form eher einem alpinen Tiramisu-Weibchen mit kräftigen Hüften. Fast wie eine Matroschka. Man könnte fast meinen, unsere russischen Freunde hätten das Dessert erfunden. Bei denen nennt sich das Sotschniki. Und dieser Biskuit wird selbst gebacken, nicht gekauft. Vielleicht haben es unsere Venezianischen Freunde von der Krim mitgebracht. Mr rinnt die Zeit weg bei meinen philosophischen Ausflügen.

Jetzt kommt der Salat dran und bei der Gelegenheit wasche und schneide ich auch gleich meine Zucchini zum Grillen mit. Zur Garnitur grille ich zwei Tomatenviertel mit. Unsere Arbeiter werden sich freuen.

Die Salate sind fertig, das Dessert auch, die Zucchini auch und die Suppe….schmeckt. Ein Wunder. Die Chefin kommt und sagt mir, ich hätte die Pasta vergessen. Das stimmt, muss ich feststellen. Da bleibt jetzt nur eine schnelle Napoli und der Hausfrieden ist wieder hergestellt. Die Chefin hat mir das Menü diktiert. Aber, ich darf nicht streiten, hat Joana gesagt. „Halt Dein Maul.“

Aber, das scheint in meinem Handwerk nichts zu bringen. Kochen muss ich es trotzdem und das unter besonderem Druck. Bei Zimmermädchen ist das etwas anders.

Die Hühnerbrustschnitzel schneide ich etwas kleiner und verarbeite sie als Fried Chicken. Die Chefin guckt erst etwas überrascht, ist aber nach einer Probe begeistert. Hoffentlich will sie jetzt keinen Sex. Köche sind heiß begehrt als Haussklaven. Sie sind selten zu Hause und wenn, dann müssen sie kochen. Für den Sex sind sie ja nicht da. Das machen dann Andere.

Das Mittag läuft gut. Ich bekomme zwei Besuche in der Küche, die mir ein Bier ausgeben wollen. Zu Mittag. Warum nicht zum Frühstück? Andere Länder, gleiche Sitten. „Bist Du der Ersatzmann?“ Jetzt kommt es raus. Also doch. Naja. Wenn es gut bezahlt wird, warum nicht. Gunda, den Namen der Chefin erfahre ich gleich mit, verschwindet erst mal kurz.

Die Gäste sind draußen, das Mittag beendet und Gunda bestätigt mir das. Am Montag kommt Fausto, der Koch wieder. Man hätte sich gestritten. Das ist eigentlich schon wieder gelogen. Vielleicht sind nur ein paar freie Tage offen oder Fausto hatte einen Familienanlass. Dem Ansuchen von Angestellten, kommen Südtiroler Unternehmer nur schwer entgegen. Man muss sozusagen, jedes Mal mit einer Kündigung drohen.

„Wenn ich einer Ersatz brauche, habe ich zu viel bürokratischen Kram zu erledigen.“

„Sie sind aber Bestandteil und Förderer dieser Bürokratie“, sag ich zu Ihr.

„Wieso? Das ist ein Witz!“

„Wenn ein Gastarbeiter aus Osteuropa zu Hause einen Trauerfall hat und drei Tage frei haben möchte, verlangen Sie von ihm die amtlich beglaubigte Sterbeurkunde. Damit sind Sie Bestandteil und Förderer der Bürokratie.“

„Oh ja. Sie haben wahrscheinlich Recht. Aber wir bekommen die Fehltage nicht bezahlt.“

„Sind Sie der Unternehmer oder das Amt? Wenn Sie frei machen, bekommen Sie das auch nicht bezahlt. Oder doch?“

Für mich sind das Alles, Schutzbehauptungen. Grobe Unwissenheit will ich mal Keinem unterstellen. Und übertriebene Ehrlichkeit schon gar nicht.

Zur Mittagsruhe ist wieder Fernsehen angesagt. Ich stelle mir einen Film an, bei dem ich gut einschlafen kann. „Das Fenster zum Hof.“ Mein Fenster wird schnell dunkel.

Meine vier Wecker melden sich. Jetzt bräuchte ich auch vier Hände, um die Geräusche abzustellen.

Zum Abendgeschäft das Gleiche wie gestern. Ich komme mir vor wie Ostern. Eier, Eier, Eier. Ein Speckbrett für Vier. „Na endlich mal etwas zu Essen.“ Ich huste nach der Bemerkung. Gunda lacht. „Vergess die Sauren Zwiebeln nicht!“

Das hätte ich tatsächlich vergessen. Leider wird das in vielen Restaurants nicht mehr dazu gegeben. Eine Tradition schläft eben langsam ein, wenn man es nicht selbst tut.

Zum Feierabend begleitet mich Gunda an die Tür. Sie will sehen und hören, wie mein Moto klingt und wie ich drauf hänge.

Zu Hause wechsele ich das Fahrzeug, trinke schnell noch einen Kaffee und begebe mich in Richtung Reschen. Es ist Alles frei bis Nauders. Ich komme nach fünfundvierzig Minute Oben an. Das riecht nach einem Rekord. Dursun oder Alfred stehen nicht vor der Tür. Aber im Foyer.

„Ein seltener Gast“, ruft Alfred. Ich war nur einen Tag weg und schon vermisst er mich.

„Alles gut“, fragt Dursun.

„Ja, bis morgen oder Sonntag.“

„Und. Hast Du schon wieder Termine?“

„Ja. In Schenna.“

„Also, noch weiter weg.“

„Es gäbe vielleicht noch Etwas in Prad. Aber da muss ich erst noch mal anrufen.“

„Du bist ein viel beschäftigter Mann“, scherzt Alfred. „Dein Essen steht schon Oben. Gute Nacht.“

Joana schläft schon. Bei der Arbeit, kein Wunder. Nach meiner Toilette ist sie wach und hat mir einen Kaffee eingegossen. Wir reden noch etwas.

„Heute wäre eigentlich mal bissl Sex dran“, sag ich zu Joana. „Den hatte ich schon“, scherzt sie zurück.

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